Zurück zu den Wurzeln – Schloss und Wein
Georg Prinz zur Lippe und sein „Erbe“ Schloss Proschwitz
Genau genommen dürfte es das Weingut Schloss Proschwitz gar nicht geben. Das fängt schon bei der Gradzahl an. Das Weingut, das auf der Gemarkung von Meißen liegt, befindet sich nämlich auf dem 51. Breitengrad, und Weinanbau nördlich des 50. Breitengrads galt lange als unmöglich. Doch manchmal fügt sich die Natur eben nicht in die Raster, die der Mensch sich ausgedacht hat, so etwa im Elbetal. Hier herrscht ein mildes Mikroklima, die Winter sind zwar so kalt, dass es für Reben gefährlich werden kann, die Sommer aber sehr heiß. Da auch die Bodenverhältnisse günstig sind, ist die Basis für hervorragenden Wein gegeben.
Der Sage nach war es Benno von Meißen (um 1010 – 1106), der den Weinanbau in den Osten des Reiches gebracht hat. Ob das der Wahrheit entspricht, ist nicht bekannt, sicher ist dank einer urkundlichen Erwähnung, dass es um 1160 Weinanbau hier gegeben haben muss. Sicher ist auch, dass das etwa 30 Kilometer entfernte Kloster Altzella 1216 das Dorf Zadel erstand, in dem dann ab 1218 Weinbau betrieben wurde. Der nötige Messwein musste auf diese Weise nicht teuer importiert werden. Zadel gilt heute als ältestes bezeugtes Weindorf in dem kleinen Anbaugebiet Sachsen. Und genau hier befindet sich das Weingut Schloss Proschwitz.
Vorläufiges Ende als Familienbesitz
Das Schloss selbst liegt einige Kilometer von Zadel entfernt im Ort Proschwitz, einem Stadtteil von Meißen. Seine jüngere Geschichte ist so wechselvoll, wie es deutsche Geschichte eben ist. 1901 heiratete Clemens Reichsgraf zur Lippe-Biesterfeld-Weißenfeld Friederike von Carlowitz, deren Familie Schloss Proschwitz gehörte. Durch die Revolution von 1918/19 verlor das Paar zwar die Adelsprivilegien, nicht jedoch den Besitz. Diesen erbte nach dem Tod der Eltern Christian Prinz zur Lippe, doch er sollte sich nicht lang daran erfreuen. 1943 beschlagnahmte die NSDAP Schloss Proschwitz, und unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Prinz, der als Großgrundbesitzer galt, im Zuge der DDR-Bodenreform enteignet. Er verlor nicht nur den gesamten Familienbesitz, sondern wurde auch inhaftiert und nach seiner Freilassung samt Frau und Kindern in den Westen abgeschoben. Bei Schweinfurt fand die siebenköpfige Familie dank verwandtschaftlicher Beziehungen eine neue Heimat. Das Weingut wurde in einen LPG-Betrieb überführt, das Schloss als Krankenhaus und Behinderteneinrichtung genutzt.
Und dann die Wende
Prinz Christian hat nie die Hoffnung aufgegeben, dass sich das Blatt eines Tages wenden und die Familie in den Osten zurückkehren würde. Tatsächlich: 1989 gingen die Menschen in der DDR auf die Straße, es kam zur friedlichen Revolution, das DDR-Regime war am Ende. Vorsorglich teilte der Prinz seinen einstigen Besitz unter den Kindern auf, dem 1957 geborenen Nesthäkchen Georg fiel Schloss Proschwitz zu. Allerdings sollte es doch anders kommen, als Prinz Christian es sich erhofft hatte. Die früheren Eigentümer erhielten den enteigneten Besitz nicht zurück, Prinz Georg erbte Schloss Proschwitz nicht. Er hätte auch gut darauf verzichten können. Der studierte Agrar- und Wirtschaftsingenieur sowie promovierte Unternehmensberater war Ende der 1980er-Jahre Geschäftsführer eines japanischen Unternehmens in Deutschland und lebte in München. Wer einen Job hat, von dem andere träumen, und aus einer komfortablen Penthaus-Wohnung auf die Isarmetropole hinunterschaut, braucht weder ein marodes Schloss noch heruntergewirtschaftete Weinberge, selbst wenn man von diesen auf die Elbe und die Albrechtsburg von Meißen schaut. Oder braucht er sie doch?
Prinz Abenteuerlust
Acht Generationen und rund 300 Jahre lang hatte die Familie bis 1945 in Sachsen gelebt. Das konnte Prinz Georg offenbar nicht einfach wegstecken, und obwohl er im Gegensatz zu seinen Geschwistern nicht in Sachsen, sondern in Bayern das Licht der Welt erblickt hatte, machte er sich auf den Weg nach Osten. Was er dort vorfand, war nicht geeignet, Begeisterungsstürme auszulösen. Ein Schloss, das von der Außenwelt abgeschirmt war und gewaltigen Sanierungsbedarf besaß, Weinberge, die zerstückelt und in schlechtem Zustand waren. Von Letzteren gehörte ein Teil einer LPG, der Rest unzähligen Privatbesitzern. Die Stimmung, die dem Prinzen entgegenschlug, ist mit „feindselig“ noch positiv umschrieben. Er erhielt ernst zu nehmende Drohungen wie: „Wir brauchen keine Prinzen mehr in Sachsen. Die haben wir ausgerottet. Das werden wir mit Ihnen auch machen“. Telefonterror, zerstochene Autoreifen, ein nicht zündender Brandsatz im Keller waren das Willkommen.
Umkehren, zurückgehen in die Welt der Globalplayer und alten Freunde, den Penthouse-Komfort genießen – das hätten wahrscheinlich die meisten in dieser Situation gemacht, nicht so der Prinz. Er ließ sich nicht von den Kampfansagen gegen ihn abhalten, packte in München die Koffer, stellte mangels Wohnberechtigungsschein in einem Weinberghaus sein Feldbett auf, verhandelte mit Hunderten von Besitzern. Am Ende verkaufte er seine beiden Münchner Immobilien, nahm Kredite auf und schaffte das Unmögliche: Stück für Stück erstand er den ehemaligen Grundbesitz seiner Familie zurück und führte die Weinberge des Bischofs von Meißen, des Abtes von Altzella, der Clarissinnen aus Seußlitz und des Klosters des Heiligen Kreuzes unter dem Namen der Lippe’schen Rose zusammen. Im traditionsreichen Zadel erstand er einen verfallenen Hof aus dem 18. Jahrhundert, heute ist dieser „Lippe’scher Gutshof“ Sitz des Weingutshofs „Schloss Proschwitz Prinz zur Lippe“ und umfasst Vinothek, Weinkeller, Restaurant, Veranstaltungsräume und Gästehaus.
Ein Schloss kehrt in den Schoß der Familie zurück
Das eigentliche Juwel aber fehlte, das von 1701 bis 1704 errichtete und großzügig im neobarocken Stil umgebaute Schloss. 1996 schließlich wurde es Prinz Georg angeboten, restlos überteuert und in einem äußerst maroden Zustand. Für einen Unternehmensberater ein Unding, für einen Prinzen mit sächsischen Wurzeln und Traditionsbewusstsein eine Herzensangelegenheit. Allein die Tatsache, dass 250 Jahre zuvor Friedrich der Große ein Flötenkonzert hier gegeben hat, wäre schon ein schlagendes Argument gewesen. Er verschuldete sich noch höher und griff zu. Seitdem wird das unter Denkmalschutz stehende Schloss Stück für Stück zurückgebaut und renoviert, eine Aufgabe, die noch die nächsten Generationen beschäftigen dürfte. Inzwischen steht Schloss Proschwitz mit seinen exklusiven Räumlichkeiten für Veranstaltungen zur Verfügung, hochkarätige Delegationen tagten schon hier. Besonders gern wird es für Hochzeiten genutzt – einen Tag lang Prinz und Prinzessin sein, das kann man hier erleben. Die, die auf Dauer Prinz und Prinzessin sind, Prinz Georg, seine Frau Prinzessin Alexandra, unter ihrem Geburtsnamen Gerlach eine bekannte Journalistin und Moderatorin, sowie ihr Sohn, lieben es kleiner, sie haben sich das ehemalige Kavaliershaus hergerichtet.
Vereint unter der Lippe’schen Rose
Ihre Bescheidenheit und ihr Verständnis für die Menschen in ihrem Umfeld haben längst dazu geführt, dass die Schwierigkeiten der Anfangszeit beigelegt sind und die Familie zur Lippe in Proschwitz zu Hause ist. Die Arbeiter der ehemaligen LPG, die der neue Weingutbesitzer hatte übernehmen müssen, waren eine große Hilfe dabei. Sie waren die Ersten, die ihre Bedenken über Bord geworfen und ein großes Lob ausgesprochen haben, denn sie sahen, dass hier einer mit Sachverstand und Herz zur Sache geht. Heute ist Prinz Georg Arbeitgeber für rund 80 Menschen. Alle zusammen haben Großes geleistet und aus den anfänglichen Mittelklasseweinen Prädikatsweine entwickelt, die sogar den strengen Richtlinien des VDP standhalten. Auch der „Gault Millau“ findet lobende Worte dafür, so heißt es unter anderem: „Die Weine tragen die Seele des ausgeprägt kontinentalen Klimas in sich und besitzen einen hohen Wiedererkennungswert.“
Ganz bestimmt tragen sie auch die Seele des Hauses zur Lippe in sich. Was die Vorfahren dazu gesagt hätten, dass es das Weingut Schloss Proschwitz entgegen aller Probleme doch gibt, wissen wir nicht, noch hat es kein Geist kundgetan. Aber wenn der Prinz abends durch die Räume geht, nimmt er manchmal den Duft von süßlichen Nil-Zigaretten wahr. Er kennt nur einen, der diese rauchte, seinen 1996 verstorbenen Vater, der ihm das enteignete Erbe ans Herz gelegt hatte.
Wie gut das Projekt „Weingut Schloss Proschwitz Prinz zur Lippe“ gelungen ist, kann man zum Beispiel beim Rosé-Fest erleben, das vom 29. April bis 1. Mai jeweils zwischen 12.00 und 18.00 Uhr stattfindet.
Informationen zum Weingut Schloss Proschwitz Prinz zur Lippe
Text: Andrea Hahn, Fotos mit freundlicher Genehmigung des Weinguts Schloss Proschwitz Prinz zur Lippe
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