Pomeranzengärtnerjungen und Orangenfieber
Wer im Museum Ludwigsburg den ersten Ausstellungsraum betritt, entdeckt an der mit Blattgold verzierten Wand zahlreiche, zum Teil befremdliche Berufsbezeichnungen. Diese erste Abteilung ist dem Erbauer von Schloss und Stadt Ludwigsburg, Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg, gewidmet, und alle Begriffe beziehen sich auf Dienste, die in der herzoglichen Hofhaltung anfielen. Eine der Bezeichnungen lautet „Pomeranzengärtnerjungen“, sie findet sich in Walter Pfeilstickers dreibändigem Werk „Neues württembergisches Dienerbuch“ unter „Hofgesinde im engeren Sinn“. Dort gibt es auch einen „Pomeranzentorwart“, und einst kursierte in Ludwigsburg sogar der Begriff „Pomeranzenkirche“. Aus den Wortfügungen ergibt sich auf den ersten Blick kein schlüssiges Bild. Hat „Pomeranze“ etwas mit einem Garten zu tun, mit einer Kirche oder einem Spiel? Und was hat es mit der „Landpomeranze“, dem heute manchmal noch abwertend gebrauchten Begriff für eine weibliche Person aus der Provinz, auf sich?
Eine Orange, die keine Orange ist
Bei Pomeranzen handelt es sich schlicht und einfach um „Bitterorangen“ oder, um die Sache etwas zu verkomplizieren, um Zitrusfrüchte, aber nicht um Orangen, sondern um einen Hybrid aus Grapefruit und Mandarine. Das Wort „Pomeranze“ leitet sich vom lateinischen „pomum aurantium“ ab, was so viel wie „goldener Apfel“ heißt und auf die Farbe der Frucht Bezug nimmt. Die Bitterorange, die Europa im Gegensatz zur süßen Orange schon sehr viel früher eroberte, kommt ursprünglich aus Süd- und Ostasien und wird seit mehr als 4000 Jahren kultiviert. Im 10. Jahrhundert erreichte sie über Indien und die arabischen Länder das europäische Festland. In unserem Klima konnten die Pflanzen allerdings nicht ohne Weiteres existieren, sie mussten aufwendig in Gewächshäusern überwintert werden, den späteren „Orangerien“. Verwendet wurde und wird die Bitterorange vor allem als Heilpflanze, Grundlage von Parfümen sowie zur Herstellung von Orangeat und einer ganzen Reihe von Delikatessen.
Die Rückkehr der Orangen
Was kostbar war und gut schmeckte, erregte schnell das Interesse barocker Fürsten. Im 17. und 18. Jahrhundert sammelten sie mit Vorliebe südländische Gewächse wie Myrte, Lorbeer, Granatäpfel und Feigen – vor allem aber Orangenbäume. So auch der sächsische Kurfürst August der Starke, durch dessen Bemühungen die Bitterorange nach Sachsen kam. Auf der Suche nach einem Winterdomizil für seine über 4000 Orangen- und anderen Kübelpflanzen erteilte er 1709 dem Oberlandbaumeister Matthäus Daniel Pöppelmann den Auftrag, im Dresdner Zwingergarten eine Orangerie zu errichten. Es sollte eine der schönsten Orangerien Deutschlands werden und August dem Starken zeitlebens zur Repräsentation und als wahres Statussymbol dienen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschwanden die Pomeranzenbäume nicht zuletzt wegen Vandalismus aus dem Zwinger, es dauerte rund 130 Jahre, bis sie zurückkehrten. 2013 kaufte das Schlösserland Sachsen mit Hilfe der Spenden von Baumpaten 80 solche Pflanzen in Italien und ließ sie in den Barockgarten Großsedlitz bringen. Dort wurden sie gehegt und gepflegt und im Mai 2017 während eines großen Orangenfestes in den Zwinger gebracht, wo sie wie einst in blau-weißen Kübeln die Rasenflächen einrahmen. Zur Überwinterung kamen sie wieder nach Großssedlitz, und am 19. Mai, wenn die letzten Tage mit Nachtfrostgefahr vorbei sein müssten, wird erneut die „Rückkehr der Orangen“ in den Zwinger gefeiert – mit einem großen Festumzug und buntem Programm.
Sachsen im Orangenfieber
Inzwischen befindet sich Sachsen regelrecht im Orangenfieber und hat eine Entdeckungstour durch die Welt der goldenen Früchte entwickelt. Sie führt vom Fürst-Pückler-Park Bad Muskau an der deutsch-polnischen Grenze über Schloss & Park Pillnitz, den Barockgarten Großsedlitz, den Großen Garten Dresden und den Zwinger bis Schloss & Park Lichtenwalde. Auch kulinarische Köstlichkeiten und ein Rezeptbuch rund um Orangenmarmelade wurden entwickelt, worüber wir am 18. Mai 2018 berichten. Was aber hat es mit den Begriffen „Pomeranzengärtnerjunge“ & Co. auf sich?
Für die aufwendige Pflege der Pflanzen war ein Heer von Gärtnern zuständig, darunter befanden sich, der Name sagt es, recht junge Gehilfen, die „Pomeranzengärtnerjungen“. Der „Pomeranzentorwart“ war kein Hand- und kein Fußballer, der im Tor stand und runde orangefarbene Früchte abwehrte, vielmehr hatte er die Tore zu den Pomeranzengärten und Orangerien zu bewachen. Hätte es ihn nicht gegeben, wären die begehrten Früchte schnell in Schüsseln und Töpfen gelandet, in denen die Mächtigen dieser Welt sie ganz sicher nicht haben wollten. Der Duden bleibt eine Erklärung für die Herkunft des Wortes „Landpomeranze“, das eine ungeschickte, naiv und ungebildet wirkende weibliche Person aus der Provinz bezeichnet, schuldig. Andere gehen davon aus, dass sich der Begriff von dem rötlichen Gesichtsteint und den Pausbacken herleitet, wie sie eher bei Mädchen und Frauen vom Land als bei Städterinnen anzutreffen waren. Die „Pomeranzenkirche“ ist ein Ludwigsburger Spezialfall. In dieser auf dem Reißbrett geplanten Stadt aus dem 18. Jahrhundert gab es zunächst keine Kirche, weswegen die Gottesdienste zuerst im Schloss und dann in der Orangerie abgehalten wurden. Da Orangerien vor allem mit Bitterorangen bzw. Pomeranzen identifiziert wurden, nannten die Ludwigsburger ihre provisorische Kirche „Pomeranzenkirche“. Ob das eher liebevoll oder abwertend gemeint war, bleibt dahingestellt…
Dies ist ein Beitrag zur Blogparade #SchlossGenuss, die wir vom 2. Mai bis 5. Juni 2018 veranstalten. Wir laden alle herzlich ein, daran teilzunehmen!
Text: Andrea Hahn unter Bezug auf Material von Schlösserland Sachsen und folgende Quellen:
Faltblatt „Idealstadt“zur ständigen Ausstellung im Ludwigsburg Museum
Walter Pfeilsticker: „Neues württembergisches Dienerbuch“, Stuttgart: Cotta, 1957-74.
Interessanter Link zu Pomeranzen
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Liebe Schloss-Genießer,
wie wunderbar, die Pomeranze!!! Da grüße ich ganz herzlich aus Köln und kann euch mitteilen, dass wir in der Domstadt auch sehr auf die Pomeranze setzen. Denn Bitterorange gehört auch zum Geheimrezept des berühmten Kölnisch Wasser!
Liebe Grüße von der Kulturtussi
Liebe Anke,
ah, das ist ja noch ein toller Hinweis, das hatte ich ja ganz übersehen. Diese Frucht hat es historisch und überhaupt wirklich in sich.
Liebe Grüße sendet
Andrea