Das Achilleion in Korfu
Wo Elisabeth von Österreich und Kaiser Wilhelm II. das Land der Griechen suchten
Im Frühjahr 1907 erwarb Wilhelm II. im Ergebnis mehrjähriger Verhandlungen aus der Hinterlassenschaft der von ihm sehr verehrten Kaiserin Elisabeth von Österreich deren auf der griechischen Insel Korfu gelegene Sommervilla, das Achilleion. Die rastlos reisende Kaiserin, die im September 1898 in Genf ermordet worden war, hatte Korfu mehrfach für längere Zeit besucht, sodass Kaiser Franz Joseph schließlich auf den Wunsch seiner Frau hin ein Grundstück erwarb, um es ihr zu schenken, damit sie sich Sommersitz anlegen konnte. Elisabeth, die ihre Rolle als Kaiserin sowie die damit verbundenen Pflichten kaum jemals annahm und das fordernde Wiener Hofleben als schier unerträgliche Bürde empfand, hatte ihren Gemahl zuvor mit der brieflichen Mitteilung überrascht, nach Griechenland auswandern zu wollen. „Stillem Sinnen nur geweiht“ sollte ihr Leben fortan in Griechenland sein.
Gebaut und kaum genutzt
Diesem Wunsch seiner Gattin konnte Franz Joseph nicht zustimmen. So war der Sommersitz auf Korfu schließlich der Kompromiss, den das Kaiserpaar einging. Kaiserin Elisabeth, deren Interesse für Griechenland und die Antike durch die aufsehenerregenden Ausgrabungen Heinrich Schliemanns geweckt worden war, ließ ihr weitläufiges Sommerschloss nach Entwürfen der italienischen Architekten Raffaele Carito und Antonio Landi zwischen 1890 und 1892 in einem ausgedehnten Park errichten. Finanziert wurde der kostspielige Bau aus der damit erheblich belasteten Privatschatulle des Kaisers.
Das als äußerst unbequem beschriebene Meublement wurde, nicht ganz passend, nach antiken Vorbildern aus Pompeji angefertigt. Lediglich das für Kaiser Franz Joseph vorgesehene Appartement ließ Elisabeth mit modernen Möbeln ausstatten. Der Monarch besuchte das Schloss auf Korfu jedoch niemals.
Im Garten ließ Kaiserin Elisabeth, deren liebste Figur der griechischen Sagenwelt der heldenhafte Achilleus war, die 1884 von Ernst Herter geschaffene Marmorskulptur „Sterbender Achill“ aufstellen und benannte die gesamte Anlage danach. Auch im oberen Teil des Treppenhauses wird an den berühmten griechischen Helden erinnert: Dort befindet sich ein großes Fresko des österreichischen Malers Franz Matsch aus dem Jahr 1892. Es zeigt den siegreichen Achill, wie er, auf einem Streitwagen stehend, den besiegten Hektor vor den Toren Trojas um das Grab seines Kampfgenossen Patrokolos schleift.
Schon bald nach der Fertigstellung des Achilleions verlor Kaiserin Elisabeth das Interesse an ihrer Schöpfung und drängte den Kaiser, das Sommerschloss umgehend zu veräußern. Doch Franz Joseph widersetzte sich diesem Wunsch Elisabeths. Nachdem die Kaiserin am 10. September 1898 in Genf ermordet worden war, erbte zunächst ihre Tochter Erzherzogin Marie Valérie das Achilleion, allerdings hatte sich außer Elisabeth niemand aus ihrer engeren Familie für dieses Schloss auf Korfu begeistern können. Das Meublement wurde nach Wien geschafft, ebenso Porzellane und Silber, das meiste wurde schließlich öffentlich versteigert, einige wenige Stücke verblieben in Familienbesitz. Schließlich übernahm Prinzessin Gisela von Bayern, die älteste Tochter der Kaiserin, die Immobilie ihrer Mutter und verkaufte das Schloss an Kaiser Wilhelm II.
Gekauft und gern genutzt
Wilhelms Schwester Sophie war seit 1889 mit Kronprinz Konstantin von Griechenland verheiratet, bei einem Besuch auf Mon Repos, der Sommerresidenz des griechischen Kronprinzenpaares auf Korfu, wurde Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1905 auf das Achilleion aufmerksam. Er nahm Verhandlungen mit dem Wiener Hof auf, um es zu erwerben. 1907 wechselte die Immobilie schließlich ihren Besitzer. Der deutsche Architekt Ernst Ziller, der in Athen lebte und arbeitete, wurde mit der Renovierung und teilweisen Umgestaltung der gesamten Anlage beauftragt. Für das zahlreiche Gefolge des deutschen Kaiserpaares wurde in der Nähe des Schlosses ein schmuckloses Kavalierhaus nach Plänen Zillers errichtet.
Der Bildhauer Johannes Götz wurde veranlasst, für den Park eine zweite Skulptur des Achill, dieses Mal jedoch in männlich-heroischer Siegerpose mit Schild und Speer zu schaffen, um ihn Kaiserin Elisabeths sterbendem Helden entgegenzustellen. Kaiser Wilhelm II. ließ den „Sterbenden Achill“ 1910 von seinem Platz im Park um einige Meter versetzen und platzierte an dessen ursprünglichem Standort nun den „Siegreichen Achill“, für den er selbst die Entwurfszeichnung angefertigt hatte. Der Helm und die Speerspitze der übergroßen Skulptur waren mit Gold überzogen und bei klarem Wetter bis zum Hauptort der Insel sichtbar. Eine von Elisabeth aufgestellte Skulptur des von ihr sehr geschätzten Dichters Heinrich Heine ließ Wilhelm II. aus durchaus antisemitischer Einstellung gegen den großen Spötter Heine entfernen und durch eine anmutige Marmorskulptur der Kaiserin Elisabeth ersetzen.
Im April und Mai 1908 hielt sich das Kaiserpaar erstmals im Achilleion auf. Bis 1914 verbrachte der Monarch von nun an dort fast jedes Jahr einige Wochen im Frühjahr, teilweise in Begleitung der Kaiserin Auguste Victoria und einiger der inzwischen erwachsenen Kinder. Eine ganze Reihe von Photographien aus dem Jahr 1912 zeigt beispielsweise Prinzessin Victoria Luise, die einzige Tochter des Kaiserpaares, in der typischen Tracht der Korfiotinnen.
Deutsch-türkische Freundschaft mit griechischem Stützpunkt
Für den Erwerb der Besitzung mögen vor allem die Verehrung Wilhelms II. für Kaiserin Elisabeth, sein Interesse an der griechischen Antike (der Kaiser beteiligte sich als Hobbyarchäologe rege an einigen Ausgrabungen auf Korfu) und die Tatsache ausschlaggebend gewesen sein, dass die griechische Kronprinzessin Sophie seine Schwester war. Zudem ist es einer Überlegung wert, ob die persönlichen und politischen Beziehungen Wilhelms II. nach Konstantinopel zu Sultan Abdül Hamid II. eine Rolle dabei spielten. Wäre es nach dem Willen der beiden befreundeten Herrscher gegangen, sollten diese Beziehungen noch weiter ausgebaut werden. Möglicherweise dachte der deutsche Kaiser daran, mit den jährlichen Aufenthalten im Achilleion seinem Freund und dem Osmanischen Reich ein gutes Stück näher zu kommen.
Der Sultan entsandte jedenfalls im Frühjahr 1908 eine hochrangige fünfköpfige Delegation unter Führung des Ministers Turhan Pascha, die dem auf Korfu weilenden deutschen Kaiser offenbar nicht nur die Grüße des Padischahs überbrachte, sondern die brisante politische Lage mit dem Monarchen erörterte. Wilhelm II. empfing am 21. April die osmanischen Herren denn auch in Gegenwart eines Vertreters des Auswärtigen Amtes im Achilleion. Sollte der griechische Sommersitz des deutschen Kaisers, der doch die führende Kontinentalmacht repräsentierte, dem befreundeten Osmanischen Reich sowie dem übrigen Europa, vor allem aber auch dem steten Rivalen Großbritannien, signalisieren, dass in dieser wirtschaftlich und geostrategisch hochbedeutenden Gegend der Welt ohne das Deutsche Reich nichts mehr entschieden werden würde? Sollte es von Korfu aus künftig regelmäßige kaiserliche Abstecher nach Konstantinopel, zu wichtigen Punkten entlang der Bagdadbahn oder nach Palästina geben?
Gleichwie, es kam nicht dazu, denn drei Monate, nachdem der deutsche Kaiser in seinem griechischen Feriendomizil die osmanische Delegation empfangen hatte, sah sich sein Freund Abdül Hamid II. zunächst einmal teilweise entmachtet. Während der revolutionären Umtriebe im April 1909, die zur endgültigen Absetzung und Exilierung des Sultans führten, hielt sich Kaiser Wilhelm II. abermals in seiner Villa auf Korfu auf und ließ sich über die Vorgänge in Konstantinopel genauestens unterrichten.
Mit ihrem Tagebucheintrag vom 18. April 1909 überlieferte Gräfin von Keller, die Hofdame der Kaiserin Auguste Victoria, ein Stimmungsbild jener Tage im Achilleion:
Wären die beunruhigenden Nachrichten aus der Türkei nicht gewesen, so hätte man alles noch mehr genossen, aber so! Bei diesen ernsten Ereignissen liegt der Gedanke nahe, dass der hiesige Aufenthalt schnell zu Ende gehen kann und wir weit früher in die Heimat zurückkehren müssen, als man gedacht hat. Ein klares Bild von den dort herrschenden Zuständen kann man sich ja nicht machen, trotz der Stöße von Telegrammen, die täglich einlaufen und stets in größerem Kreise vorgelesen werden. Nur so viel steht fest, dass es ernst genug aussieht.“ Am 27. April notierte Gräfin von Keller dann lakonisch: „Nachricht aus Konstantinopel: endgültige Absetzung des Sultans Abdul Hamid und Thronbesteigung seines rechtmäßigen Nachfolgers und Bruders als Sultan Muhammed V.
Mit diesem Thronwechsel war das seit 1889 bestehende, intensive persönliche Interesse Wilhelms II. an den osmanischen Angelegenheiten weitgehend erloschen, der Monarch konnte sich nun bei seinen Frühjahrsaufenthalten im Achilleion auf die Ausgrabungen und die nicht immer spannungsfreien familiären Beziehungen zu seinen griechischen Verwandten konzentrieren.
Wechselvolle Zeiten
Als Griechenland 1917 an der Seite der sogenannten Entente-Mächte in den Ersten Weltkrieg eintrat, wurde das Schloss als Feindvermögen beschlagnahmt und diente zunächst britischen und serbischen Verwundeten als Lazarett. Während des Zweiten Weltkrieges besetzte 1943 die deutsche Wehrmacht Korfu, das 1941 zunächst von Italien annektiert worden war. In das Achilleion zog die deutsche Kommandantur ein. Nach dem Kriegsende 1945 fiel das Schloss an den griechischen Staat zurück und wurde als Kindergarten nutzte. 1962 pachtete es schließlich ein Geschäftsmann, der das Erdgeschoss zu einem Museum umgestaltete und im ersten Stock ein Spielcasino einrichtete. 1983 übernahm die gesamte Anlage wieder der griechische Staat. Im Jahr 1994 war das Achilleion erstmals Tagungsort eines Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, die dort die Beitrittsverträge Österreichs zur Europäischen Union unterzeichneten. Heute ist es, neben Schloss Mon Repos, mit seiner musealen Nutzung und Ausstattung einer der Hauptanziehungspunkte für die Besucher Korfus.
Text
Thomas Weiberg
Fotos
Archiv Thomas Weiberg
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