Tafeln bei Hof – Vom Kaiser bis zur Dienstmagd
Höfe – Orte von Macht, Pracht und Luxus. Orte der Schönen und Reichen, Orte von Intrigen, von Festen und Feiern, von feinsten Speisen und edelstem Tafelgeschirr. So stellen wir uns diese Orte vor, so stellten sie sich auch schon unsere Ahnen vor, und vieles davon ist auch durchaus nicht ganz falsch. Aber Höfe waren auch Orte von Gemeinschaft und von Alltagsleben, nur eben ein bisschen anders als bei uns zu Hause.
Wenn wir über höfisches Essen lesen und man uns heute Beispiele festlich eingedeckter Tafeln in Schlössern zeigt, dann sind dies in aller Regel Festtafeln – aber im Leben ist nicht jeder Tag ein Fest, nicht einmal an einem prunkvollen und reichen Hof der Frühen Neuzeit. Auch hier gab es Alltag, wenn auch ein wenig schicker als bei uns und vor allem ein wenig schicker als beim Bauern oder Handwerker vor den Türen des Schlosses.
Und auch an Höfen gilt: „Die im Dunkeln sieht man nicht“ – will heißen: die Tafeln und Mahlzeiten der Bediensteten und Hofhandwerker, die sieht man nicht und über die ist eher wenig bekannt, denn während Männer, wie der vielberufene Carl Ernst von Malortie zwar Bücher über die Menues an deutschen Höfen verfassten und damit die Festtafeln an großen Höfen meinten und beschrieben, gab es niemanden, der ein Buch darüber geschrieben hätte, was man denn nun den Dienern auf den Tisch stellen soll und auf welchem Geschirr man deren Essen reichen soll.
Aber die Höfe wären nicht sie selbst, wenn man nicht schon recht früh erkannt hätte, dass es auch hier dringend verschiedener Regeln bedurfte. Diese Regeln nannte man „Hofordnungen“, und sie sind zwar keine schön gebundenen und gedruckten Bücher, aber sie verraten uns enorm viel über das, was an den Höfen Alltag war. Und weil das Essen eben immer einen großen Stellenwert hatte, steht in ihnen natürlich auch sehr viel über die Mahlzeiten, die so alltäglich verputzt wurden und über die Art wie das geschah.
Das Speisen bei Königen, Fürsten und hohen Herren
Klar, die hohen Herren, die Fürsten und Könige, sie speisten auch an ganz normalen Tagen sehr gut und opulent. Das Zeremoniell rund um ihre Mahlzeiten war selbst alltags recht pompös, denn die Anzahl der Personen, die bei Tisch bedienten, der Rang dieser Personen, die Anzahl der Speisen und vor allem auch deren Qualität waren ein sichtbarer Ausdruck der Macht und des Wohlstands des Herrschers. Schon allein aus dieser Idee heraus ergab sich, dass eine Mahlzeit nicht mal eben so quasi „zwischen Tür und Angel“ eingenommen werden konnte.
Die Aufsicht über das richtige „Auftragen“ der Speisen und das richtige Benehmen während der Mahlzeiten führte an den großen Höfen im Süden Deutschlands, wie etwa Baden, Württemberg, Pfalz und Bayern zumeist der Hofmeister. Im Norden und Osten des Reiches, wie in Braunschweig und Sachsen, aber auch in Hessen nannte man den Chef des Hofpersonals eher Hofmarschall; die Aufgaben jedoch waren immer die gleichen.
Es galt, die richtige Sitzordnung an den vielen Tischen im Speisesaal korrekt und nach Rangfolge festzulegen sowie die Personen zu bestimmen, die die Speisen auftrugen. Natürlich mussten in Zusammenarbeit mit dem Küchenmeister auch die Speisen festgelegt werden, die aufgetragen wurden, und nicht zuletzt musste zusammen mit dem Silberkämmerer das passende Geschirr und Besteck herausgesucht werden.
Den Dienst an der Tafel des Fürsten versahen selbstverständlich die höchsten Hofämter: der Hofmeister, der Zeremonienmeister, der Hofmarschall, der Mundschenk oder auch der Silberkämmerer, die Kammerherren und Pagen. Grundsätzlich galt, dass es die vornehmsten Hofangehörigen, möglichst von Adel, sein sollten, die die Bedienung übernahmen.
Wie die Abfolge der Mahlzeiten an einer fürstlichen Tafel genau aussah, das hat Prof. Dr. Josef Mazerath hier auf dem Blog in seinem Artikel „Aktuelle und alte Servierformen“ beschrieben, deshalb können wir uns an dieser Stelle auf die Personen konzentrieren, die Menschen, die all dies zu den Tischen bringen mussten. Dabei hilft beispielsweise die um 1630 entstandene Tafelordnung des Fürsten Gundaker von Liechtenstein (1580-1658), in der das Treiben rund um die Mahlzeit beschrieben wird.
Der Hofmarschall bestimmte, wer an der fürstlichen Tafel speisen durfte, er bestimmte auch den wöchentlich wechselnden Vorschneidedienst und wer gerade Dienst hatte, der hatte sich erst einmal in der Küche einzufinden, sobald die Trommeln und Glocken ertönten. Dann hatte er vor der Karawane der Speisen Richtung Speisesaal zu gehen.
Zum Auftragen der Speisen waren die Edelknaben, Kammerdiener sowie der Leibschneider und das Kanzleipersonal verpflichtet. Das stelle man sich heute einmal vor. Am Tisch angekommen, mussten diese Herren sich vor dem Leibschneider verbeugen und ihm die Speisen reichen. Der Leibschneider seinerseits stellte die Speisen dann auf die Tafel und meldete, natürlich wieder mit einer ehrerbietigen Verbeugung dem Fürsten, dass das Essen nun da sei. Hatte sich Fürst Gundaker gesetzt, so trat der Vorschneider sich erneut verbeugend zu ihm, nahm mit einem Handkuss die Serviette vom Tisch und legte sie dem Herrn von Liechtenstein über die Schulter. Darauf folgte dann ein endloser Reigen von weiteren Verbeugungen seitens aller am Tisch hantierenden Diener. Der Anblick muss einer Tanzaufführung geglichen haben; auf jeden Fall konnten sich die Beteiligten garantiert nicht über Bewegungsmangel beklagen.
Eine besondere Rolle in dieser kulinarischen Aufführung kam dem Hofkaplan zu, der für die christliche Ordnung und das Gebet bei Tisch zuständig war, und der Silberkämmerer reichte das Gießbecken zum Waschen der Hände.
Während sich dieses Zeremoniell rund um die Mahlzeit elegant und luxuriös liest, waren es die Sitten derer, die da am Tisch saßen wohl eher weniger, wie man diversen Regelungen bezüglich der Tischsitten in den Hofordnungen und vor allem in den Tischzuchten jener Zeit entnehmen kann.
Grundsätzlich verboten war es überall bei Tisch, zu streiten, zu schreien, mit Knochen zu werfen, aufzustehen, bevor das Tischgebet gesprochen war, oder auch Getränke einfach wegzugießen. Die Tatsache, dass man all das immer wieder verbot, zeigt eigentlich nur, dass es auch immer wieder vorkam und schlechte Tischsitten Alltag waren, bei den Fürsten ebenso wie bei ihren Dienern.
1624 führte dieses „grobianische“ Verhalten, wie man es gern nannte, dazu, dass Erzherzog Ferdinand (1578-1637), auf Betreiben seines Feldherrn Wallenstein folgende „mensae regulae“ erließ:
„1. Mit blankem Zeuge, saubern Rock und Stiefeln, und nicht angetrunken Ihre kaiserlichkönigliche Hoheit zu complementieren.
- Item bei der Tafel mit dem Stuhl nicht wackeln und die Füße nicht lang ausspreizen.
- Item nicht nach jedem Bissen trinken, alsdann man zu früh voll wird; den Humpen aber nach jeder Speise nur einmal halbert leeren, vorhinein aber den Schnauzbart und das Maul sauber abwischen.
- Item mit der Hand nicht in die Vorlegeschüssel langen oder die abgekiefelten Beiner nie zurück oder hintern Tisch werfen.
- Item nicht die Finger mit der Zunge schlecken, auf den Teller speien oder in das Tischtuch schnäuzen.
- Item und zum letzten nicht so viehisch humpiren, daß man vom Stuhl fällt, oder item nicht mehr grad weggehen kann.“
Ich wünsche dann mal guten Appetit.
Die Speisen der Diener – Zwischen Arbeit und Katzentisch
An den Dienertischen ging es wahrscheinlich nicht gerade gesitteter zu. Sie hatten überdies ein zusätzliches Problem: sie konnten oftmals nicht in Ruhe essen. Waren sie zum Auftragen eingeteilt, so konnten sie selbst nur ein paar Bissen hinunterschlingen und mussten dann erneut aufstehen, um an der Herrentafel aufzutragen. Aber dafür gab es immerhin deutlich besseres Essen, als es die meisten ihrer Zeitgenossen bekamen. Irgendwas ist ja immer.
Trotzdem war ihr Essen natürlich nicht so gut wie am Tisch des Fürsten oder der hochgestellten Personen des Hofes, denn auch die Qualität des Essens war ein Zeichen von Rang, von Prestige und von Stellung. Je niedriger man also in der Hierarchie stand, desto einfacher und simpler wurden die Mahlzeiten, aber zumindest gab es sie bei Hof immer in ausreichender Menge. Wobei auch die Quantität wiederum ein Zeichen des Ranges war: der Reichsgraf Joachim von Oettingen (1470-1520) etwa verspeiste an normalen Tagen mittags acht und abends immerhin noch sechs Gänge, die Räte und „Jungfrauen“ erhielten mittags sechs und abends fünf Gänge, das Gesinde hingegen mittags vier und abends drei Gänge. Satt wurden sie wohl trotzdem, zumal es oftmals auch noch Zwischenmahlzeiten gab, wie den „Untertrunk“ oder den „Schlaftrunk“.
Wie die Mahlzeiten über den Tag verteilt waren und wer wann welche erhielt, das können wir einer Ordnung der Landgräfin Juliane von Hessen-Kassel (1587-1643) entnehmen:
„Sobald die klock zehen schlecht, wollen unsere gnedige Herrschaft samt dem Frawenzimmer sich uff die Hofstuben machen, und bis Ihre Gn. beten lassen, sollen die Essen aus der Kuchen also warm uffgesetzt werden. Ursach: dieweil alles Arbeitsvolk zu zehen uhren uff der Hofstuben sich finden lest, und so man dann umb halb Eilf oder sonst dafür oder danach anrichtet, verseumt ein jeder seine arbeit dadurch. Item abends zu fünf uhren desgleichen anzurichten. Den Underdrunk nachmittags umb zwei uhren zu halten bis umb halb dreien, was danach kompt, soll nichts empfangen. Den schlaftdrunk nach dem abentessen umb halb acht uhren zu halten. Dan zu achten, soll ausgeklopft und die thor wie vor alters zugeschlossen werden.“
Die Zahl der Personen, die hier am Hof zu ihrer Zeit verköstigt wurde, war durchaus einem mittelgroßen Hotel würdig: Regelmäßig wurden 118 Personen durch die Schlossküche versorgt. Diese ziemlich große Anzahl von Personen verteilte sich auf verschiedene Tische und sogar auf verschiedene Räume. Am ersten Tisch, der Herentafel, aßen 16 Personen, fast alles Frauen übrigens. Am Dienertisch durften sich 15 Männer einfinden. Im Frawenzimmer wurden 13 weibliche Dienerinnen zu Tisch gebeten und in der Gaststube gab es vier Tische für insgesamt 37 im Dienst der Landgrafen stehende Männer sowie deren Jungen, wie man untergeordnete Diener oft nannte. Und damit die 118 Personen auch wirklich alle etwas zu essen bekamen, gab es noch die Gesindestube mit zwei Tischen, das Backhaus, in dem die fünf Bäcker essen durften, die Küche, in der das Küchenpersonal verköstigt wurde und die stets und ständig am Hof anwesenden Gäste und Handwerker wurden ihrem Rang entsprechend über die Räume und Tische verteilt.
Insgesamt eine ganz schöne logistische Leistung, vor allem wenn man bedenkt, dass der Hof von Hessen-Kassel noch ein eher kleiner Hof war. Da wundert es nicht, dass im Laufe des 17. Jahrhunderts der Trend zum Kostgeld ging.
Es war also auch alltags nicht schlecht, das Leben am Hof.
Literatur
Josef Cachée: Die Hofküche des Kaisers. Die k.u.k. Hofküche, die Hofzuckerbäckerei und der Hofkeller in der Wiener Hofburg. Wien/München 1985.
Margret Lemberg: Juliane Landgräfin zu Hessen (1587-1643). Eine Kasseler und Rotenburger Fürstin aus dem Hause Nassau-Dillenburg in ihrer Zeit. Darmstadt/Marburg 1994.
Carl Ernst von Malortie: Das Menu. Hannover 31888
Thomas Winkelbauer: Gundaker von Liechtenstein als Grundherr in Niederösterreich und Mähren. Normative Quellen zur Verwaltung und Bewirtschaftung eines Herrschaftskomplexes und zur Reglementierung des Lebens der Untertanen durch einen adeligen Grundherrn sowie zur Organisation des Hofstaats und der Kanzlei eines „Neufürsten“ in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Wien [u.a.] 2008.
Weblinks
Tischzuchten von der Bibel bis Knigge
„Heilsame auffsicht und verfassung“. Hofordnungen vom Mittelalter bis zur Neuzeit
Autor
Anja Kircher-Kannemann
Danke für für das abwechslungsreiche Blog-Menue, welches uns die „Alltagskultur“ bei Hofe lehrreich und sinnenfreudig nahe bringt. Macht auf jeden Fall Appetit auf mehr!
Lieber Hans-Jürgen Krackher, wir sagen ganz herzlichen Dank für dieses appetitliche und äußerst wohlschmeckende Lob. Gerne bemühen wir uns weiterhin, ein ebenso lehrreiches wie sinnenfreudiges Menü zusammenzustellen und zu servieren.