Im Gourmet-Restaurant wird ein Flip-Flop serviert. Er dient als Unterlage fürs Dessert. Auf dem Plastikschuh liegen Sand (vanilliger Sesam Tofu) und eine eiskalte Schokoladenkugel gefüllt mit weißem Pfirsich. Die Delikatesse wird im Gourmet-Restaurant mit den Fingern im „Sand“ gewälzt, angebissen und wieder auf die Sohle der Strandsandale gedrückt.
Dessert „Boccia am Strand“, © FALCO Gourmet-Restaurant & Bar, Leipzig
Ein anderes Restaurant, eines der besten in Deutschland, ist mit nur einem langen geschwungenen Tisch ausgestattet, der durch den Raum mäandert. Der Holztresen trennt die Küche von den Gästen auf ihren Barhockern. Jeder Handgriff der Kochkunst ist wie bei einer Imbiss-Gaststätte wahrzunehmen.
Menandernder Tisch trennt Gäste und Küche, „The Table“, Hamburg, © The Table Kevin Fehling
In der Spitze deutscher Gourmet-Restaurants wird derzeit ein Service salonfähig, der sich vom steifen weißen Damast-Tuch auf der traditionell gedeckten Tafel befreit und legere Tafelsitten etabliert. Die Speisen kommen nicht mehr ausschließlich auf Porzellan und muten eher an wie eine Folge von Tapas als wie eine klassisch-kalkulierte Menüfolge. Für eine Gourmandise, die weithin im Bereich des privaten Freizeitvergnügens stattfindet, verlieren die Zeichen tradierter Herrschaftskultur an Bedeutung.
Wertanlage Tafelsilber
Etabliert hat sich das stilvolle Essen in Europa seit dem Hohen Mittelalter, als an den Fürstenhöfen erste Tafeln abgehalten wurden. Sie lösten die zuvor üblichen exzessiven Gelage ab. Stattdessen setzte der Herrscher seinen Adel zum Essen nun an einen festen Platz, der die Edelleute in die Hierarchie des Hofes einband. Zugleich ließen sich an den Tafeln Speisen kunstvoller inszenieren als beim ungebremsten Völlen und Trinken. Beim zivilisierten Speisen wurden nicht nur Gerichte präsentiert, die besonders attraktiv aussahen. Man nutzte auch prunkvolles Geschirr. Der Staatsschatz ließ sich als Tafelsilber repräsentativ einsetzen, solange er nicht anders benötigt wurde. In Brandenburg beispielsweise besaß schon Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst (1620/1640-1688), eine beeindruckende Menge an Tafelgerät aus Edelmetall. Sein Urenkel, Friedrich der Große (1712/1740-1786), hat große Teile des Edelmetalls, das seine Vorfahren als Tafelgerät angesammelt hatten, einschmelzen lassen, um seine Kriegskasse mit Talern zu füllen.
Zwei Kettenflaschen, vor 1681, (c) SPSG, Jörg P. Anders
Seit dem Mittelalter wurden gebratene Vögel vor dem Servieren wieder in ihr Federkleid gesteckt, um beim Auftragen mehr Sensation zu machen. Man steckte auch lebende Kaninchen oder kleine Vögel als Überraschung in Pasteten oder brannte Tischfeuerwerke ab. Zum Dessert erschienen filigrane Bauwerke oder Kleinskulpturen aus der Zuckerbäckerei.
Die exquisite Art zu speisen sah stets vor, Gerichte in einer bestimmten Reihenfolge nacheinander zu genießen. Das unterscheidet europäische Tafeln bis heute von ostasiatischen, die sämtliche Speisen zeitgleich anbieten. Marx Rumpolt, der Koch des Kurfürsten von Mainz, entwarf schon am Ende des 16. Jahrhunderts festliche Menüs, die der Ranghöhe vom Kaiser bis zum Bauern entsprachen. Für den Kaiser sah er rund 115 Gerichte bei einer dreigängigen Tafel vor. Einem Kurfürsten dachte er etwas mehr als 50 Speisen zu, einem niederen Adligen noch etwa 40, einem Bürger weniger als 20 und einem Bauern bis zu elf. Trotz aller Unterschiede wurden die Suppen, Braten und Desserts stets in einer festgelegten Folge angeboten.
Service à la française
Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts formte sich innerhalb der Gänge, die in drei Trachten auf die Tafel gesetzt wurden, eine Speisenfolge aus, die vorwiegend dem bon goût folgte. Der stilvolle kulinarische Genuss wurde gesundheitlichen Konzepten der Mäßigung vorgezogen. Es entstand das Service à la française. Ohne dass sich auf die Dauer eine feste Reihenfolge der Einzelbestandteile eines Gangs etablierte, blieben doch die Speisenkomplexe (bspw. für den ersten Gang Suppe, mehrere kleine Vorgerichte, Große Vorspeise von Fisch und/oder Fleisch) verbindlich. Der erste Gang bot pikante Gerichte (Potage, Hors-d’œuvre, Relevé de poisson, Relevé de boucherie, Entrée chaude, Entrée froide) und der zweite Gang pikante und süße Speisen (Entremet de légumes; Rôt, compote, salade; Entremets de douceur; Beurre et fromage). Beide Gänge kamen in Schüsseln und auf Platten aus der Küche. Den dritten Gang, das Dessert, servierte die Konditorei. Er bestand aus süßem Gebäck, Früchten, Bonbons und Speiseeis.
Plan für eine à la française gedeckte Tafel gezeichnet von G.E. Singstock, dem Küchenmeister des Prinzen Heinrich von Preußen, Berlin 1813.
Im Barock wurde die Tafel zur Bühne: Geschirr und Besteck machten durch ihre Einheitlichkeit den Gestaltungsanspruch des Gastgebers sichtbar. Wie der französische Garten die ordnende Hand menschlicher Herrschaft herausstellte, zeigte ein Tafelservice mit durchgängiger Gestaltung, dass die Teilnehmer einer Mahlzeit dem Regiment eines Hausherrn folgen sollten. Zugleich repräsentierte der Glanz der Tafel die Bedeutung einer Familie oder Dynastie. Dem entzog sich selbst der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. (1688/1713-1740) nicht, obwohl er doch in ganz Europa als geizig galt. Er aß zwar gern und häufig mit Ministern und Generälen im eher schlichten Ambiente seines Tabakskollegiums und setzte sich nur selten an die barocke Hoftafel seiner Frau, Königin Sophie Dorothea, die mit den Kindern standesgemäß speiste. Für Staatsbesuche oder Hochzeiten scheute Friedrich Wilhelm I. aber keine Ausgaben. Denn dann ging es darum, den Wohlstand und die Würde des Landes sichtbar zu machen. Auch pflegte der Soldatenkönig persönlich kulinarische Vorlieben. Er erfreute sich an Austern und Seefisch, Parmesan und Olivenöl, Chesterkäse und italienischen Trüffel. Der König trank bevorzugt Rheinwein und Tokayer, Bier aus England, Schweden oder Braunschweig und Wasser aus Selters, Pyrmont oder Karlsbad. All das musste aufwendig und teuer nach Berlin transportiert werden. Es führte aber auch den Status des Herrschers vor Augen. Selbst wenn es ein kulinarisches Vergnügen war, wer konnte sich das leisten? Zitronen, Orangen und Ananas reklamierten Geltung.
Bei einer Festtafel für 16 bis 20 Personen wurden die Speisen in Schüsseln so auf die Tafel gestellt, dass nicht Gerichte, die sich in Form, Farbe oder Zubereitungsart ähnelten, nebeneinander standen. Die großen Stücke der Pâtisserie und die Braten wurden als Bezugspunkte für das Ganze so positioniert, dass es leichtfiel, sich einen Überblick zu verschaffen. Zudem sollte die Anordnung der Schüsseln und Platten zweckmäßig sein und nicht etwa die Sauce weit entfernt vom Braten platziert werden. Das Speisenarrangement füllte die Mitte einer Festtafel. Um die Gerichte herum standen die Teller für die Tafelnden. Ihnen bot das Personal von jedem Gang nacheinander die verschiedenen Gerichte an. Im Ganzen auf die Tafel gesetzte Stücke, wie bspw. ein Fisch, wurden, während die Speisenden die Suppe oder die Hors-d’œuvres verzehrten, von der Tafel genommen und am Beistelltisch tranchiert. Bei Europas höfischen Diners und Soupers setzte sich erst bis zum Ende des 17. Jahrhunderts der Gebrauch von Gabeln durch. Zuvor hatte man zwar Messer benutzt, vieles aber mit drei Fingern in den Mund geschoben, wie das noch Friedrich der Große bevorzugte. Weingläser fanden im Arrangement des Service à la française keinen Platz an der Tafel. Niemand sollte sie umstoßen und mit verschüttetem Wein einen Eklat verursachen. Deshalb reichte ein Diener, der hinter einem oder einer Speisenden stand, auf dessen/deren Aufforderung Wein. Die Tafelnden leerten das Glas und gaben es zurück.
Service à la russe
Das ständige Auf- und Absetzen von Gerichten war nicht der einzige Nachteil des Service à la française. Da viele Schüsseln und Platten gemeinsam auf die Tafel getragen, aber den Speisenden nur nacheinander vorgelegt wurden, besaßen zahlreiche Gerichte nicht mehr die optimale Temperatur, wenn sie verspeist wurden. Das stellte das Service à la russe ab, das sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts an Europas Höfen durchsetzte. Jetzt wurden alle Gerichte aus den Gängen einzeln auf angerichteten Tellern aus der Küche zur Tafel getragen und immer nur vorgesetzt, nachdem das Vorherige deserviert war. Die alte Speisenfolge blieb daher erhalten, aber alles erreichte die Speisenden mit der richtigen Temperatur. Es war jedoch nicht mehr möglich, aus mehreren Suppen oder einer Vielzahl von Hors-d’œuvres nur die für seinen Teller zu wählen, die gewünscht wurden. Jeder bekam bis ins Detail das gleiche Menü.
Sercvice à la russe im Banqueting Room des Royal Pavilion in Brighton, nach einer Skizze des Architekten John Nash, 1826. Quelle: Wikipedia
Mit dem Ersten Weltkrieg erlebte die Kultur der Tafeln, die als Gesamtkunstwerk mit fester Speisefolgen komponiert waren, einen tiefen Einbruch. Die Weimarer Republik entwickelte sich zur Epoche der Kalten Küche, in der aus dem Delikatessengeschäft rasch Büffets zusammengekauft wurden. Die exquisite Kochkunst und Tafelkultur wanderte in die Restaurants und wurde zumeist à la carte serviert.
Literatur
Flandrin, Jean-Louis: Arranging the Meal. A History of Table Service in France. Berkley [u. a.]: Univ. of California Press, 2007.
Klosterhuis, Elisabeth M.: Soldatenkönigs Tafelfreuden. Die Tafelkultur am Hofe Friedrich Wilhelms I. Berlin: Berlin-Story-Verlag, 2009.
Malortie, Ernst von: Das Menü. 1. Bd. 3. Aufl. Hannover: Hahn, 1888.
Niering, Annemarie: Serviermethoden um 1900. In: Tafelkultur. Dresden um 1900. Hrsg von Josef Matzerath und A. N. Ostfildern: Thorbecke, 2013.
Rumpolt, Marx: Ein new Kochbuch. Nachdr. der Ausg. Frankfurt a. M. 1581. 2. Aufl. Leipzig: Edition Leipzig, 1976. / 2. Aufl. Hildesheim: Olms, 19772. Bl. 11-41.
Singstock, G.E.: Gründlicher Unterricht in der Kochkunst für alle Stände. Berlin: amelang, 1813. 3. Bd., S. 177-193 (Vom Servieren) und 213 f.
Stranka, Bärbel: Fünf Stunden tafeln bei Friedrich dem Großen, zwölf Gänge in einer Stunde bei Wilhelm II. Küchen- und Speisezettel geben Einblick in die königlichen Tafelsitten. In: Porticus 9 (2003). Sonderheft, S. 14-17.
Vaupel, Bettina: Zuckerschloss und Scherzpastete. Wie bei Hof getafelt wurde. In: Monumente 25 ( Dezember 2015). Nr. 6, S. 66-73.
Völkel, Michaela: Die Tafelkultur am Hof von Brandenburg-Preußen (1648-1918). In: Kronschatz und Silberkammer der
Hohenzollern. Hrsg. von M. V. Berlin/München: Deutscher Kustverlag, 2010.
Zenker, F[ranz] G[eorg]: Comus=Geheimnisse. Comus-Geheimnisse über Anordnung häuslicher und öffentlicher, kleinerer und größerer Gastmahle, Pickeniks, Theezirkel etc. Über das Credenzen des Nachtisches, der Weine usw.; nebst einer vollständigen Anleitung zur Transchirkunst […]. Wien: Haas, 1827.
Autor
Prof. Dr. Josef Mazerath, Technische Universität Dresden
Aktuelle und alte Servierformen
Im Gourmet-Restaurant wird ein Flip-Flop serviert. Er dient als Unterlage fürs Dessert. Auf dem Plastikschuh liegen Sand (vanilliger Sesam Tofu) und eine eiskalte Schokoladenkugel gefüllt mit weißem Pfirsich. Die Delikatesse wird im Gourmet-Restaurant mit den Fingern im „Sand“ gewälzt, angebissen und wieder auf die Sohle der Strandsandale gedrückt.
Dessert „Boccia am Strand“, © FALCO Gourmet-Restaurant & Bar, Leipzig
Ein anderes Restaurant, eines der besten in Deutschland, ist mit nur einem langen geschwungenen Tisch ausgestattet, der durch den Raum mäandert. Der Holztresen trennt die Küche von den Gästen auf ihren Barhockern. Jeder Handgriff der Kochkunst ist wie bei einer Imbiss-Gaststätte wahrzunehmen.
Menandernder Tisch trennt Gäste und Küche, „The Table“, Hamburg, © The Table Kevin Fehling
In der Spitze deutscher Gourmet-Restaurants wird derzeit ein Service salonfähig, der sich vom steifen weißen Damast-Tuch auf der traditionell gedeckten Tafel befreit und legere Tafelsitten etabliert. Die Speisen kommen nicht mehr ausschließlich auf Porzellan und muten eher an wie eine Folge von Tapas als wie eine klassisch-kalkulierte Menüfolge. Für eine Gourmandise, die weithin im Bereich des privaten Freizeitvergnügens stattfindet, verlieren die Zeichen tradierter Herrschaftskultur an Bedeutung.
Wertanlage Tafelsilber
Etabliert hat sich das stilvolle Essen in Europa seit dem Hohen Mittelalter, als an den Fürstenhöfen erste Tafeln abgehalten wurden. Sie lösten die zuvor üblichen exzessiven Gelage ab. Stattdessen setzte der Herrscher seinen Adel zum Essen nun an einen festen Platz, der die Edelleute in die Hierarchie des Hofes einband. Zugleich ließen sich an den Tafeln Speisen kunstvoller inszenieren als beim ungebremsten Völlen und Trinken. Beim zivilisierten Speisen wurden nicht nur Gerichte präsentiert, die besonders attraktiv aussahen. Man nutzte auch prunkvolles Geschirr. Der Staatsschatz ließ sich als Tafelsilber repräsentativ einsetzen, solange er nicht anders benötigt wurde. In Brandenburg beispielsweise besaß schon Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst (1620/1640-1688), eine beeindruckende Menge an Tafelgerät aus Edelmetall. Sein Urenkel, Friedrich der Große (1712/1740-1786), hat große Teile des Edelmetalls, das seine Vorfahren als Tafelgerät angesammelt hatten, einschmelzen lassen, um seine Kriegskasse mit Talern zu füllen.
Zwei Kettenflaschen, vor 1681, (c) SPSG, Jörg P. Anders
Seit dem Mittelalter wurden gebratene Vögel vor dem Servieren wieder in ihr Federkleid gesteckt, um beim Auftragen mehr Sensation zu machen. Man steckte auch lebende Kaninchen oder kleine Vögel als Überraschung in Pasteten oder brannte Tischfeuerwerke ab. Zum Dessert erschienen filigrane Bauwerke oder Kleinskulpturen aus der Zuckerbäckerei.
Die exquisite Art zu speisen sah stets vor, Gerichte in einer bestimmten Reihenfolge nacheinander zu genießen. Das unterscheidet europäische Tafeln bis heute von ostasiatischen, die sämtliche Speisen zeitgleich anbieten. Marx Rumpolt, der Koch des Kurfürsten von Mainz, entwarf schon am Ende des 16. Jahrhunderts festliche Menüs, die der Ranghöhe vom Kaiser bis zum Bauern entsprachen. Für den Kaiser sah er rund 115 Gerichte bei einer dreigängigen Tafel vor. Einem Kurfürsten dachte er etwas mehr als 50 Speisen zu, einem niederen Adligen noch etwa 40, einem Bürger weniger als 20 und einem Bauern bis zu elf. Trotz aller Unterschiede wurden die Suppen, Braten und Desserts stets in einer festgelegten Folge angeboten.
Service à la française
Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts formte sich innerhalb der Gänge, die in drei Trachten auf die Tafel gesetzt wurden, eine Speisenfolge aus, die vorwiegend dem bon goût folgte. Der stilvolle kulinarische Genuss wurde gesundheitlichen Konzepten der Mäßigung vorgezogen. Es entstand das Service à la française. Ohne dass sich auf die Dauer eine feste Reihenfolge der Einzelbestandteile eines Gangs etablierte, blieben doch die Speisenkomplexe (bspw. für den ersten Gang Suppe, mehrere kleine Vorgerichte, Große Vorspeise von Fisch und/oder Fleisch) verbindlich. Der erste Gang bot pikante Gerichte (Potage, Hors-d’œuvre, Relevé de poisson, Relevé de boucherie, Entrée chaude, Entrée froide) und der zweite Gang pikante und süße Speisen (Entremet de légumes; Rôt, compote, salade; Entremets de douceur; Beurre et fromage). Beide Gänge kamen in Schüsseln und auf Platten aus der Küche. Den dritten Gang, das Dessert, servierte die Konditorei. Er bestand aus süßem Gebäck, Früchten, Bonbons und Speiseeis.
Plan für eine à la française gedeckte Tafel gezeichnet von G.E. Singstock, dem Küchenmeister des Prinzen Heinrich von Preußen, Berlin 1813.
Im Barock wurde die Tafel zur Bühne: Geschirr und Besteck machten durch ihre Einheitlichkeit den Gestaltungsanspruch des Gastgebers sichtbar. Wie der französische Garten die ordnende Hand menschlicher Herrschaft herausstellte, zeigte ein Tafelservice mit durchgängiger Gestaltung, dass die Teilnehmer einer Mahlzeit dem Regiment eines Hausherrn folgen sollten. Zugleich repräsentierte der Glanz der Tafel die Bedeutung einer Familie oder Dynastie. Dem entzog sich selbst der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. (1688/1713-1740) nicht, obwohl er doch in ganz Europa als geizig galt. Er aß zwar gern und häufig mit Ministern und Generälen im eher schlichten Ambiente seines Tabakskollegiums und setzte sich nur selten an die barocke Hoftafel seiner Frau, Königin Sophie Dorothea, die mit den Kindern standesgemäß speiste. Für Staatsbesuche oder Hochzeiten scheute Friedrich Wilhelm I. aber keine Ausgaben. Denn dann ging es darum, den Wohlstand und die Würde des Landes sichtbar zu machen. Auch pflegte der Soldatenkönig persönlich kulinarische Vorlieben. Er erfreute sich an Austern und Seefisch, Parmesan und Olivenöl, Chesterkäse und italienischen Trüffel. Der König trank bevorzugt Rheinwein und Tokayer, Bier aus England, Schweden oder Braunschweig und Wasser aus Selters, Pyrmont oder Karlsbad. All das musste aufwendig und teuer nach Berlin transportiert werden. Es führte aber auch den Status des Herrschers vor Augen. Selbst wenn es ein kulinarisches Vergnügen war, wer konnte sich das leisten? Zitronen, Orangen und Ananas reklamierten Geltung.
Bei einer Festtafel für 16 bis 20 Personen wurden die Speisen in Schüsseln so auf die Tafel gestellt, dass nicht Gerichte, die sich in Form, Farbe oder Zubereitungsart ähnelten, nebeneinander standen. Die großen Stücke der Pâtisserie und die Braten wurden als Bezugspunkte für das Ganze so positioniert, dass es leichtfiel, sich einen Überblick zu verschaffen. Zudem sollte die Anordnung der Schüsseln und Platten zweckmäßig sein und nicht etwa die Sauce weit entfernt vom Braten platziert werden. Das Speisenarrangement füllte die Mitte einer Festtafel. Um die Gerichte herum standen die Teller für die Tafelnden. Ihnen bot das Personal von jedem Gang nacheinander die verschiedenen Gerichte an. Im Ganzen auf die Tafel gesetzte Stücke, wie bspw. ein Fisch, wurden, während die Speisenden die Suppe oder die Hors-d’œuvres verzehrten, von der Tafel genommen und am Beistelltisch tranchiert. Bei Europas höfischen Diners und Soupers setzte sich erst bis zum Ende des 17. Jahrhunderts der Gebrauch von Gabeln durch. Zuvor hatte man zwar Messer benutzt, vieles aber mit drei Fingern in den Mund geschoben, wie das noch Friedrich der Große bevorzugte. Weingläser fanden im Arrangement des Service à la française keinen Platz an der Tafel. Niemand sollte sie umstoßen und mit verschüttetem Wein einen Eklat verursachen. Deshalb reichte ein Diener, der hinter einem oder einer Speisenden stand, auf dessen/deren Aufforderung Wein. Die Tafelnden leerten das Glas und gaben es zurück.
Service à la russe
Das ständige Auf- und Absetzen von Gerichten war nicht der einzige Nachteil des Service à la française. Da viele Schüsseln und Platten gemeinsam auf die Tafel getragen, aber den Speisenden nur nacheinander vorgelegt wurden, besaßen zahlreiche Gerichte nicht mehr die optimale Temperatur, wenn sie verspeist wurden. Das stellte das Service à la russe ab, das sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts an Europas Höfen durchsetzte. Jetzt wurden alle Gerichte aus den Gängen einzeln auf angerichteten Tellern aus der Küche zur Tafel getragen und immer nur vorgesetzt, nachdem das Vorherige deserviert war. Die alte Speisenfolge blieb daher erhalten, aber alles erreichte die Speisenden mit der richtigen Temperatur. Es war jedoch nicht mehr möglich, aus mehreren Suppen oder einer Vielzahl von Hors-d’œuvres nur die für seinen Teller zu wählen, die gewünscht wurden. Jeder bekam bis ins Detail das gleiche Menü.
Sercvice à la russe im Banqueting Room des Royal Pavilion in Brighton, nach einer Skizze des Architekten John Nash, 1826. Quelle: Wikipedia
Mit dem Ersten Weltkrieg erlebte die Kultur der Tafeln, die als Gesamtkunstwerk mit fester Speisefolgen komponiert waren, einen tiefen Einbruch. Die Weimarer Republik entwickelte sich zur Epoche der Kalten Küche, in der aus dem Delikatessengeschäft rasch Büffets zusammengekauft wurden. Die exquisite Kochkunst und Tafelkultur wanderte in die Restaurants und wurde zumeist à la carte serviert.
Literatur
Flandrin, Jean-Louis: Arranging the Meal. A History of Table Service in France. Berkley [u. a.]: Univ. of California Press, 2007.
Klosterhuis, Elisabeth M.: Soldatenkönigs Tafelfreuden. Die Tafelkultur am Hofe Friedrich Wilhelms I. Berlin: Berlin-Story-Verlag, 2009.
Malortie, Ernst von: Das Menü. 1. Bd. 3. Aufl. Hannover: Hahn, 1888.
Niering, Annemarie: Serviermethoden um 1900. In: Tafelkultur. Dresden um 1900. Hrsg von Josef Matzerath und A. N. Ostfildern: Thorbecke, 2013.
Rumpolt, Marx: Ein new Kochbuch. Nachdr. der Ausg. Frankfurt a. M. 1581. 2. Aufl. Leipzig: Edition Leipzig, 1976. / 2. Aufl. Hildesheim: Olms, 19772. Bl. 11-41.
Singstock, G.E.: Gründlicher Unterricht in der Kochkunst für alle Stände. Berlin: amelang, 1813. 3. Bd., S. 177-193 (Vom Servieren) und 213 f.
Stranka, Bärbel: Fünf Stunden tafeln bei Friedrich dem Großen, zwölf Gänge in einer Stunde bei Wilhelm II. Küchen- und Speisezettel geben Einblick in die königlichen Tafelsitten. In: Porticus 9 (2003). Sonderheft, S. 14-17.
Vaupel, Bettina: Zuckerschloss und Scherzpastete. Wie bei Hof getafelt wurde. In: Monumente 25 ( Dezember 2015). Nr. 6, S. 66-73.
Völkel, Michaela: Die Tafelkultur am Hof von Brandenburg-Preußen (1648-1918). In: Kronschatz und Silberkammer der
Hohenzollern. Hrsg. von M. V. Berlin/München: Deutscher Kustverlag, 2010.
Zenker, F[ranz] G[eorg]: Comus=Geheimnisse. Comus-Geheimnisse über Anordnung häuslicher und öffentlicher, kleinerer und größerer Gastmahle, Pickeniks, Theezirkel etc. Über das Credenzen des Nachtisches, der Weine usw.; nebst einer vollständigen Anleitung zur Transchirkunst […]. Wien: Haas, 1827.
Autor
Prof. Dr. Josef Mazerath, Technische Universität Dresden