Seraphia de Beckè (1728-1805)
2004 wurde als Zweigmuseum des Württembergischen Landesmuseums im Residenzschloss Ludwigsburg ein Keramikmuseum eingerichtet. Mit rund 4500 Exponaten gilt es als eine der größten Ausstellungen dieser Art in Europa. Hier wird die Geschichte des Porzellans vom Mittelalter bis zur Gegenwart erzählt, zudem beheimatet es den weltweit größten Bestand Ludwigsburger Porzellans. Bei den Ausstellungsstücken handelt es sich nicht nur um feines Porzellan, auch Fayencen sind zu sehen, beides hat in Ludwigsburg Tradition.
Am 5. April 1758 entschloss sich der württembergische Herzog Carl Eugen, in der Residenzstadt eine »Porcelaine-Fabrique« ins Leben zu rufen. Nach schleppendem Anfang gedieh die Fabrik zusehends, als Joseph Jakob Ringler, der möglicherweise aus Wien die Rezeptur mitgebracht hatte und als fähigster Porzellanhersteller der Zeit galt, die Direktion übernahm. Sie blieb aber vom Zuschuss des Herzogs, der zugleich der beste Kunde war, abhängig. Nur die 1760 angegliederte Fayence-Fabrik, die das billigere Gebrauchsgeschirr aus Tonkeramik herstellte, arbeitete mit Profit. Diese stand ab 1762 unter der Mitdirektion, ab 1777 unter der alleinigen Leitung einer Frau.
Der folgende gekürzt wiedergegebene Artikel stammt von Monika Bergan, Ludwigsburg. Wir danken ihr und dem Verlag Andreas Hackenberg für die Abdruckgenehmigung.
Ein Beitrag zu #womenMW innerhalb der #MuseumWeek
Seraphia de Beckè
Eine ungewöhnliche Frauenkarriere: Zweiunddreißig Jahre in der Chefetage der Fayence-Manufaktur
[…] Die Rede ist von einer außergewöhnlichen Frau: Maria Seraphia Susanna Magdalena de Beckè, verwitwete von Löwenfinck, geborene Schick. Hineingeboren in ein wohlsituiertes Elternhaus in Fulda, wurde Seraphia am 4. April 1728 getauft und wuchs mit zwei Brüdern in einem Künstlerhaushalt auf, dessen Anregungen das begabte Kind begierig aufnahm. Der Vater, Johann Philipp Schick, hatte das Vertrauen des dortigen Fürstbischofs erworben und sich vom Kunstlackierer und Vergolderer zu dessen Kammerherrn hochgearbeitet. Durch Unterstützung des Fürsten wurde Schick in den Rat der Stadt aufgenommen und brachte es sogar zum Bürgermeister. Schick setzte sich sehr für die Gründung einer Fayence-Manufaktur ein und war lange Jahre bis zu seinem Tod auch der Leiter der ebenfalls in Fulda gegründeten Porzellan-Manufaktur.
Aus Seraphia Schick wird Seraphia von Löwenfinck
Man kann sich vorstellen, dass Seraphia schon früh mit den väterlichen Arbeitsmaterialien vertraut wurde. […] Am 28. Oktober 1747 heiratete Seraphia den deutschlandweit bekannten, aus Meißen kommenden Maler Adam Friedrich von Löwenfinck, der als Angestellter der Fuldaer Fayence-Manufaktur im Hause Schick wohnte. Das Paar arbeitete auch nach der Hochzeit weiterhin im väterlichen Betrieb. […]
1748 kam ihre erste Tochter zur Welt. Von Löwenfinck wechselte in die neuen Manufakturen Weisenau und Höchst und danach in den sehr renommierten Hannong’schen Betrieb in Straßburg. 1750 wurde er Leiter des Zweigbetriebs in Hagenau. […]
Alleinerziehende working mom im 18. Jahrhundert
Bis zum frühen Tod ihres Mannes 1754 brachte Seraphia noch einen Sohn und zwei weitere Töchter zur Welt. Woran von Löwenfinck starb ist nicht bekannt. Seraphia übernahm – alleinerziehend mit vier Kindern – die Nachfolge ihres Mannes in Hagenau. Sie führte den Betrieb so exzellent, dass ihr der Senat der Stadt und die Familie Hannong 1761 zusätzlich die Leitung der Hauptmanufaktur in Straßburg übertrugen. Eine steile Karriere! Seraphia bewährte sich glänzend. In einer Zeit der Intrigen und Händel musste sie als Frau nicht nur die Leitung über eine äußerst schwierige Künstlerschar in der Manufaktur übernehmen, sondern parallel die Produktion des Fayencebetriebs überwachen und zum Erfolg führen. Auch hier war sie künstlerisch tätig, doch da sie ihre Werke in der Regel nicht signierte, kann aus dieser Zeit kein Fayencestück ihrer Hand zugeordnet werden.
Ein beruflicher Absturz als Folge eines galanten Liebesabenteuers mit Johann Daniel de Beckè – einem 14 Jahre jüngeren Soldaten, der in württembergischen Diensten stand – beendete 1762 jäh die Karriere in Hagenau: Wurde sie doch in Straßburg von dem Freund ihres Bruders schwanger. Um einen Skandal zu vermeiden, bot man Seraphia seitens der Manufaktur 800 Gulden an mit der Auflage, Hagenau sofort zu verlassen. […]
Vom Sündenfall zur Condirectrice
Die Zeit drängte, doch alles war gut organisiert: Am 6. Juli 1762 unterschrieb Seraphia ihre Abfindung noch mit Löwenfinck, am 28. September 1762 gebar sie de Beckès Sohn. Zwischen Abfindung und Geburt muss dann wohl die Hochzeit der katholischen Künstlerin mit dem so viel jüngeren evangelischen Leutnant gewesen sein.
Zwei Jahre vorher, um 1760, hatte sich in Ludwigsburg eine private Fayence-Manufaktur etabliert. Herzog Carl Eugen übernahm den Betrieb und legte ihn 1762 mit seiner vier Jahre zuvor gegründeten Porzellan-Manufaktur zusammen. […} Joseph Jakob Ringler, ein bekannter und sehr erfolgreicher „Arcanist“ – er brachte das Geheimnis der Porzellanherstellung aus Meißen mit – war Direktor beider Betriebe. Ringler hatte wenig für Fayence übrig. […] Dies und die Überlastung Ringlers – die Zahl der Mitarbeiter hatte sich auf Grund des enormen Wachstums der Porzellan-Manufaktur bis 1762 verfünffacht – waren Gründe genug, für die Fayenceabteilung mit 24 Mitarbeitern eine eigene Condirectrice einzustellen: Seraphia de Beckè.
Erstaunlicherweise blieb Seraphia trotz ihrer großen Erfahrung Ringler 14 Jahre lang unterstellt. Erst durch ein herzogliches Dekret vom 27. Januar 1777 erhielt sie die alleinige Leitung und wurde „würkliche Fayence Direktorin“. Die Abteilungen Porzellan und Fayence wurden getrennt.
Direktorin mit Biss
Seraphia schaffte für sich und ihren Betrieb Bedingungen, die bewiesen, wie geschäftstüchtig und geschickt sie in Verhandlungen war: Beispielsweise erreichte sie, dass ihr Betrieb alles Holz für die Brennöfen kostenlos erhielt. Der Ringler’schen Porzellan-Manufaktur dagegen wurde der Holzverbrauch verrechnet. Für sich hatte Seraphia ein Gehalt von 1020 Gulden jährlich zuzüglich Naturalien erkämpft, während Ringler 1759 mit nur 900 Gulden zuzüglich Naturalien begonnen hatte. […]
Die Fayence-Manufaktur warf den Büchern zufolge immer Gewinne ab, die Porzellan-Manufaktur erzielte dagegen Verluste. […] Nicht nur betriebswirtschaftlich, auch bei Personalfragen hatte Seraphia ein geschicktes Händchen: Anerkannte und bekannte Maler wurden angestellt und die Zahl ihrer Mitarbeiter blieb über viele Jahre konstant.
Die Beckès wohnten wie Ringler in den Ludwigsburger Verwaltungsgebäuden der Manufaktur in der Schorndorfer Straße, im Jägerhofpalais. Das östliche Seitengebäude wurde fast ausschließlich von Seraphias Familie benützt. Diese vergrößerte sich zusehends, da zu den vier Löwenfinck’schen Kindern noch sieben von de Beckè hinzukamen. Ihren Kindern brachten mütterlicher Ehrgeiz und Zielstrebigkeit eine gesicherte Zukunft: Erreichte Seraphia doch, dass ihre Jungen die Hohe Carlsschule in Stuttgart besuchten und die Mädchen in bekannte europäische Adelsfamilien wie zum Beispiel Sayn-Wittgenstein einheirateten. […]
Im Abgang noch kompromisslos
Seraphia blieb Chefin der Fayence-Manufaktur bis zu deren erneuter Zusammenlegung mir der Porzellan-Manufaktur 1795. Sie war 67 Jahre alt und zog sich am 22. August wohlverdient aus dem Berufsleben zurück, nicht ohne vorher um eine Abfindung in Höhe von 4000 Gulden gekämpft zu haben. Um deren volle Auszahlung musste sie bis 1799 streiten, da man ihr Verkaufserlöse für alte Fayencen in Höhe von 548 Gulden abgezogen hatte. Vielleicht hatte sie mit ihren Forderungen den Bogen überspannt, anscheinend standen alle einflussreichen Kollegen gegen sie: Intendant, Direktor und Kassierer äußerten, „dass der reduzierten Abfindung rechtens geschähe.“
Ein anderer selbstständiger Leiter der Ludwigsburger Fayence-Manufaktur ist nicht bekannt. Seraphia de Beckè starb am 26. März 1805, vier Jahre nach ihrem Mann, der es zum Oberleutnant gebracht hatte.
Da die Künstlerin offensichtlich nur versteckt signiert hat, sind ihre Werke, wenn überhaupt, nur sehr schwer identifizierbar. Aus ihrer Ludwigsburger Zeit wird ihr lediglich eine Fayence in Birnenform, eine so genannte Birnkanne um 1762, zugeschrieben. Nachweislich hat sich Seraphia auf Glasur- und Maltechnik bestens verstanden. Nach 1802 schrieb einer ihrer Mitarbeiter: „Die Fayenceglasur will ich alle Tage so gut machen als die Madame Beckè.“
Quelle: Monika Bergan: Ludwigsburger Frauenporträts. Biographisches aus vier Jahrhunderten. Ludwigsburg: Hackenberg, 2006. S. 19-26. Die Zwischenüberschriften wurden von uns eingefügt.
Ansicht von der Birnkanne, ebd. S. 25, Original: Hans Dieter Flach
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