Bombensicher – wie Kunstschätze Sachsens gemeinsam mit 800 Zentnern Weinflaschen den Zweiten Weltkrieg überstanden
Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Wir schreiben das Jahr 1945. Der Krieg befindet sich in der letzten, tödlichen Phase, die Alliierten rücken näher. Verantwortliche suchen nach geeigneten Verstecken für Kunstgut und entdecken ein solches in Schloss Weesenstein bei Dresden, einem der seit 1942 wichtigsten und größten Kunstdepots in Sachsen. Mit den bis zu vier Meter dicken Mauern gilt die Burg als fast „bombensicher“. Doch nicht nur Kunstschätze finden dort Unterschlupf vor der Bombardierung der Städte – sondern in dessen tiefen Felsenkellern auch ein gewaltiges Lager erlesener Weinsorten! Der Dresdner Weingroßhändler Weißenborn aus der Großen Plauenschen Straße hatte tatsächlich schon lange vor der Unterbringung der Museumsschätze etwa 200.000 Flaschen Wein dort eingelagert – insgesamt rund 800 Zentner Flaschen!
Flüssiges Gefahrgut
Was beim Lesen heute vielleicht mit einem Schmunzeln quittiert wird, stellte damals eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar: Man musste davon ausgehen, dass – wenn erst der große Alkoholvorrat bei den Alliierten bekannt würde – die ganze Burg samt Kunstschätzen und den sich versteckenden Frauen und Kindern ein Ziel von Angriffen werden könnte. Daher befahl der Bürgermeister des Ortes Weesenstein schließlich, allen Wein in die Müglitz zu schütten. Dies wiederum widerstrebte Baurat Oskar Pusch und Schlossverwalterin Johanna Reinhard, die in den letzten Kriegswehen die Verwaltung des Schlosses übernommen hatten.
In den Erinnerungen von Oskar Pusch ist zu lesen:
„Der Bürgermeister verlangte, dass ich den Wein in die Müglitz fliessen lassen sollte, wie die Schlossverwaltung bei Pillnitz ihren Wein in den Schlossteich geschüttet habe. Das war bei ca. 800 Zentnern Weinflaschen nahezu unmöglich und widersprach auch meiner Achtung vor den Weinen der Mosel und des Rheines.“
Folgten sie jedoch dem Befehl nicht, war die Gefahr groß, dass sie unter Hochverrat vor Gericht gestellt wurden – ein gewaltiges Dilemma:
„Hungernde und dürstende Flüchtlinge zogen ununterbrochen am Schloss vorüber und wir – ertranken im Wein.“
Weinquelle in dürre Zeiten
Pusch und Reinhard hofften, dass die Amerikaner zuerst eintreffen würden, als aber deren Vormarsch zum Erliegen kam, entschieden sie nach eingehender Beratung, den Wein zu günstigen Preisen an die Weesensteiner Bevölkerung, an Lazarette und umliegende Gemeinden zu verkaufen – was erwartungsgemäß auf große Begeisterung stieß und 80.000 Mark einbrachte. Auf Bitte der Gemeinde Weesenstein, Weine an die Bewohner des Ortes umsonst abzugeben, durfte jeder so viele Flaschen mitnehmen, wie er – ohne Wagen und weitere Transporthilfen – tragen konnte.
„Wie ein Lauffeuer ging die Nachricht durch den Ort. Wir konnten im Brauhof einen fliegenden Verkauf einrichten, der glänzend ging. Ganz Wessenstein stand Schlange vom Felsengang bis zum Schloss, der Verkauf war kaum zu bewältigen. Die Kisten mussten geöffnet und die Flaschenhülsen entfernt werden. Das kostete Zeit bei wenig Arbeitskräften. Die prächtige Gemeindekassiererin half. Ein Glas Süsswein ab und zu liess aber ihre Tatkraft erlahmen, so dass ich unten nach Ersatz ausschauen musste.“
Die wertvollsten Flaschen des Weines vergruben die Verantwortlichen im Park oder auch im Gemüsebeet – wodurch diese tatsächlich, oft durch Zufall, der Entdeckung durch die Besatzer entgingen. Zuletzt wurden die verborgenen Kunstschätze und die letzten Flaschen Wein von russischen Möbelwagen abtransportiert – ein Kapitel Schlossgeschichte ging zu Ende.
Im Übrigen war an Ess- und Trinkbarem nicht nur Wein in das bombensichere Versteck gebracht worden, ein Lebensmittelhändler hatte auch große Mengen Zucker, Reis, Erbsen und Krachmandeln im Vorschloss verwahrt. Die Soldaten der Roten Armee entdeckten sie natürlich, verteilten sie aber an die Schlosskinder.
Ausstellung „Bombensicher!“
Die Sonderausstellung „Bombensicher! Kunstversteck Weesenstein 1945“, die noch bis zum 7. Oktober 2018 auf Schloss Weesenstein bei Dresden zu sehen ist, hat dieses spannende Kapitel aus der Zeit herausgegriffen und stellt in einer Sonderausstellung auf 100 Quadratmetern etwa 100 Exponate und das Alltagsleben der Menschen unter Kriegsbedingungen vor. Zu den Exponaten, die dort zu sehen sind, zählen unter anderem die originale Transportkiste des Maya-Codexes, archäologische Funde des ehemaligen Museums für Vorgeschichte, die Porzellanplastik „Schmerzensmutter“ von Gottlieb Kirchner aus Meissener Porzellan und wertvolle Teile der Käfer-, Zikaden-, Schmetterlings- und Fliegensammlung des ehemaligen Museums für Tierkunde. Darüber hinaus gehören auch Fotos, Reproduktionen, Akten und Filmausschnitte zu den Ausstellungsexponaten.
Der Text des Blogbeitrags basiert auf den Vorarbeiten und dem Ausstellungstext der Kuratorin Dr. Birgit Finger und dem maschinenschriftlichen Bericht von Oskar Pusch.
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