Aqua mirabilis – Vom Wasser bei Hofe
In höfischer Gesellschaft war das Hinlangen zum Bratenstück ohne Gabel lange Zeit der Brauch. So bedeutete „Darf ich Ihnen das Wasser reichen?“ nicht etwa die Einladung zum erfrischenden Trunk. Ursprünglich gemeint war das Andienen einer Wasserschale zur Reinigung der Finger. Wer diese einfache Handreichung nicht beherrschte, der taugte zu nicht zu Höherem.
Vor 280 Jahren zeigt der reich gedeckte Tisch von Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I im Potsdamer Jagdschloss Stern zwar die Gabel – es gibt aber keinen Hinweis auf das Tafeln mit frischem Trinkwasser. Stattdessen stehen Literhumpen, Stangengläser und Kelche für den zeitgenössischen Wasserkonsum: abgekocht zu Bier oder als vergorener Rebensaft.
Eine Weltmacht baut auf Wasser
Der zurückhaltende Gebrauch von Brunnenwasser im 18. und 19. Jahrhundert hat seine tiefen Gründe. Benjamin Franklin, Gründervater Amerikas, aufgeklärter Naturwissenschaftler und Zeitgenosse Friedrichs des Großen formuliert sie treffend so: „Im Wein ist die Weisheit, im Bier ist die Freiheit, im Wasser sind Bakterien.“ Mit einem selbstgebastelten Mikroskop hatte Antoni van Leeuvenhoek die Mikroorganismen erstmals entdeckt und 1676 an die Royal Society berichtet. Die insularen Royals hatten ein vitales Interesse am nassen Element: es war für sie überlebenswichtig. Unterwegs auf den Weltmeeren im kolonialen Ex- und Import war keimfreies Süsswasser kriegsentscheidend, bestimmte es doch über Gedeih und Verderb der Mannschaften – und damit über den Thron. Wen wundert es, dass die bedeutenden Entwicklungen zum Genuss von Wasser bei den königlichen Wissenschaftlern des British Empire entstanden.
Die drei wässrigen S – Spa, Selters, Soda
Weltbedeutung erlangte das Geschäft mit der Balneologie im belgischen Kurort Spa. Im Brunnenhaus Pouhon Pierre-Le-Grand ist ein monumentales Fresco von 1894 zu bewundern, das 96 VIPs aus zwei Jahrhunderten in früher Wellness-Laune zeigt. Darunter Peter den Großen, der das extrem eisenhaltige Spa-Wasser zur Stählung seiner Kräfte schätzte. Er ließ Glasbläser aus Murano abwerben, um das kostbare Nass luftdicht im exklusivem Glas zu verpacken für den gehobenen Genuss. Seinem Mäzenatentum ist es zu verdanken, dass das Spa-Wasser aus der Glasflasche den Sprung auf die fürstlich dekorierte Tafel schaffte. Ein zweiter Meilenstein war seit dem 17. Jahrhundert Niederselters. Der Quellort im Hessischen sollte sich zu einer preussischen Goldgrube im Export entwickeln. Die preiswerten Westerwälder Steinkrüge werden heute in allen Erdteilen wiederentdeckt, sie sind Pioniere der globalen Vermarktung. Nach Spa und Selters kam schließlich Soda in Mode. Jacob Schweppe aus Witzenhausen nutzte Priestleys Erkenntnisse zur Kohlensäure und patentierte 1783 die industrielle Fertigung von hochverdichtetem Sprudelwasser. Mit ausdrücklicher Empfehlung von Charles Darwin und der Royal Society gelangten Schweppes spritzige Torpedoflaschen an den Hof von Wilhelm IV. So kam in den 1830er Jahren die Personalunion von Großbritannien mit dem Königreich Hannover in eine prickelnde Champagner-Stimmung.
Im Zentrum des Crystal Palace, vor einem riesigen Kristallglasbrunnen, eröffnet Queen Victoria mit ihrem Prinzgemahl Albert am 1. Mai 1851 planmässig die erste Industrieausstellung der Welt. Aus ihrem Tagebuch:
„Dieser Tag ist einer der schönsten und herrlichsten unseres Lebens […] bevor wir uns dem [Hyyde] Park näherten, schien die Sonne und strahlte auf das gigantische Gebäude, auf dem die Fahnen jeder Nation flatterten […]. Der Anblick, als wir ins Zentrum gelangten, wo die Treppe und der Stuhl (auf dem ich NICHT saß) standen und auf den wunderschönen Kristallbrunnen gerichtet waren, war magisch – so unermesslich, so prächtig, so berührend. Der ungeheure Jubel, die Freude, die in jedem Gesicht zum Ausdruck kam, die Weitläufigkeit des Gebäudes mit all seiner Dekoration und seinen Exponaten, der Klang der Orgel … all das war wirklich bewegend.“
Queen Victoria wurde zu einem häufigen Besucher. Anfangs betrug der Eintrittspreis für Herren 3 £, für Damen 2 £. Ab dem 24. Mai wurden die Massen für nur einen Schilling pro Kopf eingelassen. Zu Tausenden kamen Fabrikarbeiter, die von ihren Arbeitgebern geschickt wurden, Dorfbewohner, die von wohlhabenden Landbesitzern geschickt wurden, Gruppen von Schulkindern. Bis zum Ende der Ausstellung am 11. Oktober waren mehr als sechs Millionen Menschen durch die Drehkreuze gegangen.
P. S. Trinkwasser hat sich in 300 Jahren von der elitären Erfrischung zum städtischen Wassernetz entwickelt. 1000 Liter Trinkwasser kosten heute ca. 2.15 € in Potsdam. 1 Liter Mineralwasser beim Discounter ca. 10 Cent.
Königin Victorias Tagebuch wurde zitiert nach: J.R.C. Yglesias: London Life & Great Exhibition 1851. London: Longman, 1964. (Then and there series.)
Siehe auch auf: https://www.royal.uk/sites/default/files/media/victoria.pdf [Zugriff: 15.11.2018]
Text und Fotos
Hans-Jürgen Krackher, Marketing-Cabinet spiritschweppes.com, Potsdam
Guten Abend!
Da muss ich meinen „Vorrednern“ auf’s Höchste beipflichten:
Es hat wirklich viel Freude bereitet, diese so umfangreiche Recherche-Arbeit in absolut exzellenter Formulierungsweise kredenzt zu bekommen – starke Leistung! Großes Lob also an Herrn Krackher!!
Liebe Claudia Werner,
das sehen auch wir so, und freuen uns sehr, dass er den Beitrag für uns geschrieben hat. Es kommt auch gleich noch ein Beitrag von ihm, auf den sich alle freuen dürfen.
Ich bin beeindruckt von diesem tollen Beitrag. Viel Interessantes zum Thema Wasser, sehr edle Fotos. Zum Thema und in Abwandlung von Aqua mirabilis eine kleine Geschichte: Bei einem namhaften norddeutschen Edelstahlverarbeiter war einst ein italienischer Abnahmebeamter tätig, der nach dem Genuß des ihm in der Kantine kredenzten Mineralwassers dieses als „agua miserabilis“ bezeichnete. Unvergessen für alle, die dabei waren.
Das ist ja wirklich eine nette Bereicherung für unseren Artikel, vielen Dank! Und danke sagen wir auch für das schöne Lob, das uns sehr freut!
So bekommt also „ jemand das Wasser reichen können“ noch einen anderen Aspekt. Schön, der geschichtliche Beitrag zum Thema Wasser und dazu die beeindruckenden Fotos mit einer ganz besonderen Ästhetik.
„Jemandem das Wasser reichen“ ist ein interessanter Aspekt in der Geschichte des Trinkwassers: Derjenige, der das Wasser reichen durfte, muss innerhalb der Dienerschaft eine angesehene Stellung gehabt haben, andererseits war er natürlich nie auf Augenhöhe mit demjenigen, dem er das Wasser gereicht hat. Irgendwann muss der Ausdruck einen Bedeutungswandel erfahren haben, denn wir verstehen ihn ja heute im Sinne der Gleichrangigkeit der Beteiligten.
Vielen Dank für das schöne Lob!
Exzellenter, kurzer Beitrag von Herrn Krackher über das „kühle Lebenselixier“ auf unseren Tischen und seine geschichtliche Bedeutung – mein Wissensdurst ist vorerst gestillt, werde mir aber heute Abend einmal die genannte Homepage zu Genüge tun. Merci vilmals!
Freut uns, wenn wir mit diesem sprudelnden Beitrag von Herrn Krackher Ihren Wissensdurst stillen konnten, hoffentlich gelingt uns das – ganz im Sinne von #SchlossGenuss – noch öfter 😉
Die Kombination aus vielschichtigen historischen Fakten, angereichert mit kulturgeschichtlich Interessantem und einer prägnanten Formulierung ist sehr gelungen.
Vielen Dank, wir freuen unns sehr, dass der Beitrag so gut ankommt. Auch wir finden den Mix sehr gelungen und freuen uns auf einen weiteren Beitrag von Herrn Krackher, den es voraussichtlich im Dezember geben wird.
Toller, interessanter Beitrag, hat Spaß gemacht zu lesen.
Vielen Dank für das schöne Lob, das wir gerne an Herrn Krackher weitergeben, der diesen auch für uns sehr interessanten Beitrag geschrieben und bebildert hat.