Jung geblieben – das Alte Schloss in Stuttgart

Das Neue Schloss in Stuttgart und der großzügige Schlossplatz springen den Vorbeikommenden sofort ins Auge. Vielleicht nehmen sie über die Planie hinweg auch den wuchtigen Bau wahr, der zwischen Karlsplatz und Schillerplatz steht, wobei auf Letzterem eher das Denkmal Friedrich Schillers den Blick anzieht. Als Johann Wolfgang Goethe 1797 in Stuttgart zu Besuch war, gab es dieses Denkmal seines Kollegen natürlich noch nicht, aber beide Schlösser. Diese bekam er bei einem morgendlichen Spaziergang am 30. August zum ersten Mal zu Gesicht:

„Durch die Vorstadt kommt man bald auf den Platz vor das Schloß vielmehr vor die Schlösser. Der Platz ist seit der Anwesenheit des Großfürsten schön planirt, und die theils auf Rasen, in großen regelmäßigen Partien, theils als Alleen gepflanzten Castanienbäume sind sehr gut gediehen. Das Schloß selbst ist von dem Geschmack der Hälfte dieses Jahrhunderts, das Ganze aber anständig, frey und breit. Das alte Schloß wäre jetzt kaum zu einer Theaterdecoration gut.“1

Altes Schloss Stuttgart, Innenhof (c) Andrea Hahn | Text & Presse
Altes Schloss Stuttgart, Innenhof

Eine Pferdegeschichte

Das Alte Schloss war damals zu einem Nebengebäude herabgesunken und wäre fast abgerissen worden. Dabei finden sich hier die Wurzeln der Stadt Stuttgart, wenn man das ursprüngliche Stadtgebiet, also vor dem Zusammenschluss mit Cannstatt und diversen Eingemeindungen, betrachtet. In der Nähe des aktuellen Hauptbahnhofs gab es einen römischen Gutshof, und auch in der Zeit der Völkerwanderung lebten hier Menschen. Reste einer frühalemannischen Siedlung weisen in das 3. und 4. Jahrhundert zurück.

Heute sprechen wir eher abfällig vom „Stuttgarter Kessel“, der von drei Seiten umschlossen ist und in dem im Sommer die Hitze brütet. Damals war das Gelände perfekt, um Pferdezucht zu betreiben. Durch das Tal floss der Nesenbach, der längst verdolt ist, Wiesen und Weiden breiteten sich neben seinen Ufern aus. Hier entstand vor 950 das Gestüt „Stuotengarten“, dessen idyllisch klingender Name später zu „Stuttgart“ wurde. Das Pferd im Stadtwappen steht (oder vielmehr steigt) symbolisch für diese Gründung. Erstmals urkundlich erwähnt wurde der Name als „Stuokarten“ um 1160 im Hirsauer Codex. Zu diesem Zeitpunkt hat es an der Stelle des Alten Schlosses bereits eine Wasserburg gegeben, die wohl Liudolf von Schwaben, ältester Sohn Kaiser Ottos des Großen, hatte erbauen lassen, um das Gestüt zu schützen. Von ihr zeugen Mauerreste aus der Zeit der Staufer, die bei besonderen Gelegenheiten besichtigt werden können.

Altes Schloss Stuttgart, Innenhof (c) Andrea Hahn | Text & Presse
Matthäus Merian, „Die fürst(liche) Statt Stuetgart“ – Stuttgart im Jahr 1634

Residenzschloss mit Ausbaupotenzial

Durch Heirat fielen Burg, Gestüt und Siedlung um 1250 den Grafen von Württemberg zu, die nach 1311 ihren Hauptsitz aus dem Remstal an den Nesenbach verlegten. Sie ließen die Burg immer wieder erweitern und schließlich zu einem Renaissance-Schloss ausbauen – das Haus Württemberg hatte inzwischen die Herzogswürde errungen, dem musste vermutlich ebenso wie dem Zeitgeist Rechnung getragen werden. Der heutige Arkadenhof erinnert eindrucksvoll an die alte Renaissanceherrlichkeit. Auf diese Ära weist auch die dort aufgestellte Reiterstatue aus dem Jahr 1859 hin, die Eberhard I. bzw. Eberhard im Bart darstellt, der den Anfang in der Riege der Herzöge von Württemberg macht.

Damals wurde unter anderem die Dürnitz, heute ein beliebtes Café und weiträumiger Eingangsbereich des Landesmuseum Württemberg, umgebaut und erweitert. Herzog Christoph, der die ersten großen Umbauten am Schloss veranlasste, beauftragte den Baumeister Blasius Berwart, der vor allem für den Festungsbau und den Bau von Treppen bekannt war, eine Reitertreppe zu errichten. Ohne abzusteigen oder vom Regen nass zu werden, konnten die Herrschaften dank ihr im Inneren des Schlosses direkt in den Festsaal über der Dürnitz reiten. Die Gäste des 21. Jahrhunderts gelangen darauf per Pedes in die Schauräume der oberen Stockwerke.
Unter Herzog Christoph wurde auch eine im südlichen Flügel integrierte Schlosskirche in Auftrag gegeben und 1562 eingeweiht. In dem ungewöhnlicherweise quer ausgerichteten Kirchenraum konnten Kanzel und Abendmahltisch von beiden Seiten gleich gut eingesehen werden. In der Gruft unter der Kirche befindet sich die Grablege von König Karl, Königin Olga und deren Adoptivtochter Herzogin Wera sowie deren Ehemann und Sohn. Seit 2019 kann sie nach einer Umgestaltung wieder besichtigt werden. Im Vorraum erfährt man mehr über die hier beigesetzten Mitglieder des Hauses Württemberg, deren Bestattungsriten und -orten und die Spuren, die das soziale Engagement der aus dem russischen Zarenhaus stammenden weiblichen Mitglieder des Königshauses im 19. Jahrhundert hinterlassen haben.

Das Alte Schloss um 1558, Planzeichnung von E. Schwaderer LABW-Hauptstaatsarchiv Stuttgart N 200 Nr. 89-2.jpg (c) lizensiert via Wikimedia unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 4.0 international
Das Alte Schloss um 1578, Planzeichnung von E. Schwaderer
Das Alte Schloss um 1578, Planzeichnung von E._Schwaderer LABW-Hauptstaatsarchiv Stuttgart N 200 Nr. 89-3.jpg (c) lizensiert via Wikimedia unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 4.0 international“
Das Alte Schloss um 1578, Planzeichnung von E. Schwaderer

Denkmal des Widerstands

Als Anfang des 18. Jahrhunderts Herzog Ludwig Eberhard die Residenz in Ludwigsburg und ab 1746 Herzog Carl Eugen das Neue Schloss in Stuttgart erbauen ließen, sank der Stern des bisherigen Residenzschlosses, das jetzt eben das „alte“ war. Unter anderem erhielten nun Hofbeamte ein Domizil hier. So wohnten der Oberhofmarschall von König Wilhelm II. und dessen Frau Caroline geb. Gräfin von Üxküll-Gyllenband, eine Hofdame der Königin Charlotte, mit ihren drei Jungs Alexander, Berthold und Claus hier.

Der jüngste Sohn, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Offizier der Wehrmacht, verübte am 20. Juli 1944 das Sprengstoff-Attentat auf Adolf Hitler in der ostpreußischen Wolfsschanze, einem der Hauptquartiere der militärischen Führungsebene im Zweiten Weltkrieg. Zusammen mit den anderen beteiligten Widerstandskämpfern wurden er und sein Bruder Berthold hingerichtet und ihre Familien in Sippenhaft genommen. Im Archivbau des Alten Schlosses richtete das Haus der Geschichte Baden-Württemberg eine Erinnerungsstätte ein, in deren Zentrum das Leben von Claus Schenk Graf von Stauffenberg und das Attentat stehen. Auch der Kindheit und Jugend der Brüder im Alten Schloss ist ein Abschnitt gewidmet.

Altes Schloss, Stauffenberg-Erinnerungsstätte (c) Andreas Praefcke, eigenes Bild, gemeinfrei via Wikimedia
Altes Schloss, Stauffenberg-Erinnerungsstätte

Vom Nebengebäude zur Schatzkiste

Zurück in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts: Damals setzte eine Entwicklung ein, die zum heutigen Landesmuseum führte. König Wilhelm I. von Württemberg gründete 1862 die Königliche Staatssammlung vaterländischer Kunst- und Alterthumsdenkmale, um den Menschen die Geschichte ihres Landes näherzubringen sowie Reisenden einen Anziehungspunkt zu bieten. Die Sammlung wurde beständig erweitert, aber an verschiedenen Orten ausgestellt. Ab 1899 kamen das Württembergische Armeemuseum und die Familiengalerie der Württemberger im Alten Schloss unter, 1930 Teile der archäologischen Sammlung. Doch 1931 brannte der Dürnitzbau aus und auch der Zweite Weltkrieg sorgte für starke Zerstörungen, große Teile der Sammlungen fielen in Schutt und Asche.

Im Gegensatz zu vielen anderen Gebäuden, etwa der Hohen Karlsschule, wurde das Schloss wiederaufgebaut und nun Sitz des Württembergischen Landesmuseums. Ab 1948/49 konnten Ausstellungen präsentiert werden, doch erst 1971 standen alle Gebäudeteile zur Verfügung. Seit 2010 lädt das Junge Schloss Kinder ab 4 Jahren ein, spielerisch und mit allen Sinnen den Reiz von Geschichte zu entdecken. Zwei Jahre später eröffnete die Dauerausstellung LegendäreMeisterWerke, die die Geschichte des Landes von der Eiszeit bis 1918 beleuchtet, jenem Jahr, in dem König Wilhelm II. abdanken musste. 2016 folgte die Ausstellung Wahre Schätze, in der die Antike, die Zeit der Kelten und die legendäre Kunstkammer der württembergischen Herzöge im Mittelpunkt stehen. Immer wieder präsentiert das Museum, das inzwischen Landesmuseum Württemberg heißt, in spektakulären Sonderausstellungen Schmuckstücke aus der über eine Million Objekte umfassenden Schatzkiste, die es hütet. Mehr als 18.000 Objekte sind zudem digital aufbereitet und können online eingesehen werden. Mit der LMW-App lassen sich die Ausstellungen via Smartphone entdecken.

Württembergische Königskrone und Zepter vor den Porträts der württembergischen Könige, Landesmuseum Württemberg, Schausammlung © Landesmuseum Württemberg, Foto: Christoph Düpper
Krone und Zepter, Königreich Württemberg, Schausammlung „LegendäreMeisterWerke“
Kunstkammer, Schausammlung "Wahre Schätze", Landesmuseum Württemberg © Landesmuseum Württemberg, Foto: Christoph Düpper
Kunstkammer, Schausammlung „Wahre Schätze“
Reitertreppe mit Kindern © Landesmuseum Württemberg, Landesmuseum Württemberg | Foto: M. Schwarz, Sevencity OHG
Reitertreppe im Landesmuseum Württemberg

Wir könnten noch viel über das Alte Schloss, das württembergische Herrscherhaus und seine Sammlungen erzählen, und werden das sicher im Lauf der Zeit auch tun. Schon bald greifen wir in einem weiteren Blogartikel eine Ausstellung auf, die sich mit dem Zweig eines anderen bedeutenden Geschlechts und der archäologischen Sammlung befasst, die zwei Angehörige dieses Hauses zusammengetragen haben. Lassen Sie sich überraschen.

Marmorsaal in Schloss Weissenstein, Pommersfelden, (c) Sylvia Hubele
Altes Schloss in Stuttgart

Text

Andrea Hahn | Text & Presse

1 Goethes Werke, hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen, Abt. 3: Goethes Tagebücher, Bd. 2, Weimar 1888, S. 108f.

Service

Landesmuseum Württemberg
Altes Schloss
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70173 Stuttgart

Öffnungszeiten
Museum Di. bis So., 11 – 17 Uhr
Dürnitz Di. bis So., 10 – 18 Uhr
Montag geschlossen, außer an Feiertagen

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Telefon: +49 711 89535111
www.landesmuseum-stuttgart.de

Stauffenberg Erinnerungsstätte
Attentat. Stauffenberg
Stauffenberg-Platz
D-70173 Stuttgart

besucherdienst@hdgbw.de
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Öffnungszeiten
Do. – So. und an Feiertagen 10 – 17 Uhr
Schulklassen nach Vereinbarung
Silvester, Neujahr, Karfreitag, Heiligabend, Erster Weihnachtsfeiertag geschlossen
www.hdgbw.de/stauffenberg-erinnerungsstaette-stuttgart